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pickpocketsWenn Goethe zweifelt, Jesus schreibt und Benjamin denkt – allerlei Theologisches

Wer’s glaubt, wird selig

„Wer’s glaubt“, pflegte meine Großmutter zu sagen, wenn es um Religiöses ging, „wird selig. Und wer’s nicht glaubt, kommt auch in den Himmel.“ Mit dieser sehr pragmatischen Haltung den so genannten letzten Dingen gegenüber löste meine Großmutter handstreichartig einen Konflikt, der Goethe lebenslang umtrieb. Im „West-östlichen Divan“ notierte er apodiktisch: „Das eigentliche, einzige und tiefste Thema der Welt- und Menschengeschichte, dem alle übrigen untergeordnet sind, bleibt der Konflikt des Unglaubens und Glaubens.“ Goethes ambivalentes Verhältnis zur Religion und seine Aversion gegen theologische Systeme – „Sackerment! Ich habe schon / Von der neuen Religion / Eine verfluchte Indigestion!“ – sind nun von Hans-Joachim Simm rekonstruiert worden. Der Band „Goethe und die Religion“ versammelt alle einschlägigen Passagen aus den Werken, Briefen, Tagebüchern und Gesprächen.

An Goethes Bemerkung von der weltbeherrschenden Bedeutung des Konflikts zwischen Glauben und Unglauben knüpft die außerordentlich aufschlussreiche Studie „Moses der Ägypter“ des Ägyptologen Jan Assmann an. Untersucht wird hier nämlich „die Unterscheidung zwischen wahr und unwahr in der Religion, die spezifischeren Unterscheidungen zugrunde liegt wie die zwischen Juden und gojim, Christen und Heiden, Muslimen und Ungläubigen. Wenn diese Unterscheidung einmal getroffen wird, dann kehrt sie innerhalb der durch sie gespaltenen Räume endlos wieder“ und konstruiert nicht nur Identität und Orientierung, sondern eben auch „Konflikte, Intoleranz und Gewalt“. Somit wird Assmanns Geschichte der Deutungen der Moses-Gestalt auch zu einer Vorgeschichte religiöser Fundamentalismen.

Die Geschichten der Bibel sind ein unerschöpflicher Fundus des Erzählens, weshalb sie immer wieder aufgegriffen werden. Die Bandbreite reicht von Thomas Manns Josephs-Romanen bis zu den frömmelnden Erbauungsschmonzetten der Marianne Frederikson. Auch Norman Mailer hat in diesen Fundus gegriffen – und wie! Sein Erzähler ist niemand anderes als Jesus persönlich, der in der Absicht, mit den Legenden der Evangelien aufzuräumen, höchstselbst das Wort ergreift. Mailers Jesus schreibt, wie sich der „kritische Christ“ das heutzutage so denkt bzw. wünscht bzw. glaubt: voll kargem Pathos nämlich. Allerdings plagt Jesus doch die Frage nach der Authentizität seines Lebensberichts, wenn er den Zweifelnden zuruft: „Wer fragt, wie meine Worte auf diese Seiten gelangt sind, dem rate ich, es als kleines Wunder zu betrachten.“ Wer’s glaubt, wird halt selig; und wer’s nicht glaubt, kann ganz profan Norman Mailer verantwortlich machen.

Mit dessen kreuzkriechendem Alterswerk ist man allerdings immer noch besser bedient als mit dem schwülen Klosterkitsch der englischen Autorin Alison Joseph. Ihr Roman „Dein Wille geschehe“ gipfelt in Sätzen wie: „Ich habe noch nie mit einer Nonne gebumst“ – wogegen die Nonne sich freilich handfest zu wehren versteht, weil sie sich neben Gebeten und guten Taten auch noch als Detektivin betätigt.

Nicht nur mit Nonnen, sondern überhaupt viel und gern gebumst haben – Zölibat hin, Schamhaftigkeit und Keuschheit her – diverse Päpste. Reinhardt Barths und Friedemann Bedürftigs Taschenlexikon „Päpste“ liefert zwar keine Skandalgeschichte des Vatikans, ist aber ein sehr brauchbares, sachliches und konzises Nachschlagewerk über Seine Stellvertreter auf Erden.

Die interessanteste und ästhetisch folgenreichste Verbindung zwischen Theologie und Literatur in diesem Jahrhundert findet sich im Werk Walter Benjamins. Der zweibändige Reader über „Benjamins Begriffe“ enthält zum Stichwort „Theologie“ einen aufschlussreichen Artikel von Andreas Pangritz. „Mein Denken“, schrieb Benjamin mit einer berühmten Wendung, „verhält sich zur Theologie wie das Löschblatt zur Tinte. Es ist ganz von ihr vollgesogen. Ginge es aber nach dem Löschblatt, so würde nichts, was geschrieben ist, übrig bleiben.“ Dazu bemerkt Pangritz: „Es geht aber nicht nach dem Löschblatt, sodass immer ein theologischer Rest – und sei es nur ein Tintenklecks – im Innern des Denkens zurückbleibt. Die Theologie wird zwar vom säkularen Denken aufgesogen, dies ist nun aber ganz und gar mit Theologie getränkt.“ Und diese Theologie stand im Zeichen der Hoffnung, dass es beim Unrecht nicht bleibe, das die Welt beherrscht. Wer an diese Hoffnung glaubt, wird wohl kaum selig. Einen besseren Glauben aber gibt es nicht.

KLAUS MODICK

Hans-Joachim Simm (Hg.): „Goethe und die Religion“. insel tb. 432 S., 24,90 DM Jan Assmann: „Moses der Ägypter“. Fischer TB. 350 S., 28,90 DM Alison Joseph: „Dein Wille geschehe“. Heyne TB. 303 S., 14,90 DM Norman Mailer: „Das Jesus-Evangelium“. btb. 224 S., 16 DM Reinhardt Barth/Friedemann Bedürftig: „Päpste“. Serie Piper. 317 S.,16,90 DM Michael Opitz/Erdmut Wizisla (Hg.): „Benjamins Begriffe“. edition suhrkamp. 2 Bde. 855 S., DM 39,90 DM

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