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Depressiv auf dem Sofa

■ Die „Nachtschwärmer“ wollen psychisch kranken Menschen helfen / Jetzt steckt die Selbsthilfegruppe selbst in der Krise / Raum- und Personalnot im Waller Hinterzimmer

Schwarze Sessel aus künstlichem Leder. In der Ecke ein winziges grellgrünes Aquarium. Durch das einzige Fenster dringt etwas Tageslicht. Kein guter Ort für manisch Depressive. Doch genau hier, in einem Hinterzimmer des Café Klatsch in Walle, müssen die Mitarbeiter der „Nachtschwärmer“ therapeuthische Gespräche führen.

Seit 1997 ist die Selbsthilfegruppe vor allem für psychisch kranke Menschen die einzige Möglichkeit, ihren nächtlichen Ängsten, ihrer Unruhe und Einsamkeit zu entkommen. Am mehreren Tagen in der Woche ist das Café an der Ecke Helgolander/Vegesacker Straße bis zwei Uhr morgens geöffnet; es gibt Gesprächsangebote, Kreativkurse, warmes Essen, die Möglichkeit, mit anzupacken. Und der Bedarf steigt spürbar. Doch jetzt steckt der Verein, den Betroffene und Angehörige leiten, selbst in der Krise.

„Wir können so nicht sinnvoll weiterarbeiten“, sagt Vorstandsmitglied Hartmut Fischer, ein Angehöriger. Mit dem vorhandenen Raumangebot könne man der Nachfrage einfach nicht mehr gerecht werden. Mittlerweile sollen bis zu vierzig BesucherInnen an einem Abend kommen – Menschen, die zum Teil medikamentös „stabilisiert“ wurden. Dass es in Walle eine Adresse für Nachtschwärmer gibt, hat sich bis weit ins Bremer Umland herumgesprochen.

Zu viel für das kleine Café, das von einem freien Träger unterhalten wird. Auch tagsüber sind hier psychisch Kranke und andere Menschen willkommen; erst abends übernehmen die Nachtschwärmer. Ihr Problem: Für Einzelgespräche fehlen vernünftige separate Räume, es gibt keine Rückzugsbereiche. Die Nebenzimmer des Cafés dürfen sie nicht selbst gestalten. Vorräte türmen sich in einem ehemaligen Badezimmer, ein Büro gibt es nicht.

Nicht nur die Platznot macht der Gruppe Sorgen. Anfang April fielen zwei der bisher vier ABM-Stellen weg, eine Stelle nach dem Bundessozialhilfegesetz ist noch nicht besetzt worden. Es ist unklar, ob die ABM-Stellen gestrichen worden sind – so heißt es von Seiten der Nachtschwärmer – oder ob sie einfach nicht beantragt wurden – wie das zuständige Arbeitsamt entgegenhält. Fest steht jedoch, was die neue Situation für Folgen hat.

An zwei Wochenenden blieb die Einrichtung nachts geschlossen, die BesucherInnen waren verwirrt. Dabei sei gerade für sie „Regelmäßigkeit“ sehr wichtig, meint Mitarbeiterin Beate Koch, die seitdem Überstunden schiebt. Zwar sprangen einige Gäste in die Bresche, doch was passiert, wenn die festen Mitarbeiter krank werden oder Urlaub haben? Neben Koch steht noch ein psychologischer Berater den Nachtschwärmern zur Seite, ansonsten helfen Ehrenamtliche.

Vorstandsmitglied Fischer beklagt nun die große „Diskrepanz zwischen dem, was wir leisten, und der Untersützung von außen“. Zum Beispiel durch das Land Bremen. Schließlich mache man kein „soziales Gedöns“, sondern effektive Gesundheitsarbeit. Durch die Arbeit der Nachtschwärmer würden in hohem Maße Kosten gespart. Fischers Rechnung: Jeder Tag in der Psychiatrie kostet pro Patient 500 bis 600 Mark. Der Gang in die Klinik könne aber in vielen Fällen verhindert werden.

Geld ist es vermutlich auch, was der Gruppe bei ihrer Suche nach einem neuen Domizil die meisten Probleme bereiten wird. Zwar wurde ein ehemaliges Restaurant in der Wartburgstraße für ideal befunden – bloß kostet es das Sechsfache der bisherigen Miete von 400 Mark im Monat. Zu viel für Nachschwärmer, die bisher vor allem von den Spenden einer Bank zehrten. Jetzt denken sie darüber nach, mit einer anderen Gruppe zusammenzuziehen. Bis feststeht, wohin die Reise geht, werden die Gäste noch auf den schwarzen Kunstledersesseln Platz nehmen müssen. hase

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