piwik no script img

Durchsuchungstipps per Videoschaltung

Kreuzberger Szeneprojekt Mehringhof erneut durchsucht. Kronzeugegibt Polizeibeamten Handlungsanweisung per Video und Kopfhörer

von PLUTONIA PLARRE

Der Kronzeuge der Bundesanwaltschaft in Sachen Revolutionäre Zellen, Tarek M., hat dem Kreuzberger Mehringhof gestern einen überraschenden Besuch abgestattet. Nicht persönlich, sondern virtuell. Bei der neuerlichen Durchsuchung gab er den Beamten des Bundeskriminalamtes per Videokonferenz Tipps, wo Sprengstoffspuren zu finden seien. „Weiter rechts, weiter rechts, stopp“, so dirigierte er die Beamten.

Die Kripo-Beamten agierten gestern sprichwörtlich mit Samthandschuhen. Anders war es bei dem martialischen Großeinsatz vom 16. Dezember 1999, an dem fast 1.000 Polizeibeamte inklusive der Anti-Terror-Einheit GSG 9 beteiligt waren.

Die erste Razzia war der Auftakt einer bundesweiten Festnahmeserie der Bundesanwaltschaft in Sachen Revolutionäre Zellen (RZ). Wegen des Vorwurfs der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in der Zeit zwischen 1984 und 1994 sowie der Beteiligung an Sprengstoffanschlägen sitzen mittlerweile vier Männer und eine Frau in Haft. Zwei der Beschuldigten waren früher als Hausmeister im Mehringhof beschäftigt gewesen. Bei der Durchsuchung im Dezember hatte die Polizei zehn Kilogramm Sprengstoff und Schusswaffen gesucht, aber nicht gefunden. Die damalige Polizeiaktion ging ebenso wie die gestrige auf die Aussage des Kronzeugen Tarek M. zurück. Der 41-jährige Berliner Kampfsportlehrer, der im November 1999 als erster wegen diverser Vorwürfe in Sachen RZ verhaftet worden war, hat bei der Bundesanwaltschaft (BAW) ausgesagt, um seinen eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

Bei der gestrigen Polizeiaktion war Tarek M. persönlich nicht anwesend, aber trotzdem allgegenwärtig. Von einem Gefängnis in der Bundesrepublik, der geheim gehalten wird, dirigierte er das BKA-Kommando im Mehringhof per Videokonferenz. Der Durchsuchungsbeschluss bezog sich nur auf einen im Durchgang zum zweiten Hinterhof gelegenen Fahrstuhlschacht samt angrenzenden Räumlichkeiten im Keller und Erdgeschoss. Die BAW erhoffte sich davon, das frühere Versteck des Sprengstoffs und „möglicherweise noch vorhandene Spuren“ von diesem zu finden. Mit einer Videokamera und einem Schweinwerfer ausgerüstet filmten Kripo-Beamte zunächst den Kellerbereich und den Fahrfahrstuhlschacht, danach zwei Abstellräume neben dem Hof.

Per Standleitung wurden die Bilder live zu Tarek M. übertragen, der vom Knast über ein Telefon Regienanweisungen gab. „Weiter rechts. Noch mehr rechts. Stopp“, gab eine Beamtin mit Handy die Anweisungen an die Kameraleute weiter. „Schwenk auf die Tür. Stopp, wo die gelbe Mülltonne ist.“ Die Beamtin mit dem Handy war nicht direkt mit Tarek M. verbunden, sondern mit einem Kollegen, der in einem im Hof geparkten Mercedes-Bus des BKA saß. In dem mit Vorhängen verdunkelten Wagen flimmerte die Live-Aufzeichnung über einen Monitor. Oben rechts im Bild war Tarek M. in Postkartengröße zugeschaltet. Der Umgangston zwischen ihm und den Beamten wirkte überaus vertraut. „Tarek, du musst klare Anweisungen geben“, war der telefonierende Beamte mit dem Kronzeugen per Du.

Die Spurensuche ging mit großer Akribie vonstatten. Erst wurden die Wände des Fahrstuhlschachtes mit Wattebäuschen abgerieben und die Proben in Gläschen verstaut. In einem Abstellraum neben dem Hof, der gleichzeitig Notausgang ist, fischten die Beamten aus einem Schacht eine alte, blaue Mülltüte, die gleichfalls zur Untersuchung nach Wiesbaden wanderte. Auch der Schacht wurde von einer BKA-Beamtin mit einem Staubsauger feinsäuberlich ausgesaugt.

Im Gegensatz zu der Duchsuchung im Dezember war die Atmosphäre gestern ausgesprochen friedlich. Die Projekt-Mitarbeiter des Mehringhofs durften während der über zweistündigen Aktion zugegen sein, und auch die zunehmende Ansammlung von Zuschauern im Hof wurde geduldet. Bei der Razzia im Dezember hatten die Beamten regelrecht gewütet, der entstandene Sachschaden betrug über 100.000 Mark. Einer Klage auf Schadensersatz kam das BKA zuvor, in dem es sich mit den Mehringhof-Betreibern mittlerweile auf eine unbürokratische Schadensregulierung verständigte. 65.000 Mark hat das BKA nach Angaben der Geschäftsführerin des Mehringhofs, Clara Luckmann, inzwischen überwiesen. Weitere 12.000 Mark seien auf dem Weg. Diesmal rückten die BKAler in Zivil ohne uniformierten Begleitschutz an. Ob es das letzte Mal war, wird die Auswertung der Proben zeigen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen