: In Labyrinth und Schnecke
taz-Serie „Leben in der Bundesliga“: Beim Bahnengolf, im Volksmund Minigolf, ist neben viel Gefühl und Konzentrationsfähigkeit auch Kommunikationsfreude gefragt. Und Geld: Bälle kosten 200 Mark
aus Göttingen REIMAR PAUL
Ingo von dem Knesebeck steht an dem kleinen Kiosk auf der Anlage des Göttinger Miniaturgolfclubs (MGC) und zieht sich eine Flasche Bier rein. Das Gelände liegt einigermaßen versteckt zwischen rostigen Eisenbahnschwellen und Autowaschanlagen am Rande des Göttinger Industriegebiets. In der Nacht hat es geregnet, dicke Pfützen stehen auf den Eternitbahnen, außerdem ist es kalt. An Training ist heute nicht mal zu denken.
Dennoch ist ein täglicher Ausflug zum Spielgelände für Ingo von dem Knesenbeck und die anderen Koryphäen des Vereins gewissermaßen heilige Pflicht. Nur mal eben nach dem Rechten gucken, einen Klönschnack halten, vielleicht ein paar Schläge tun, und wenn das Wetter nicht mitspielt, dann wenigstens ein, zwei schnelle Biere kippen.
Geselligkeit ist angesagt im MGC Göttingen, den Knesebeck 1970 mit begründet hat. Seither ist der Club eine Topadresse im deutschen Bahnengolf. Bahnengolf, nicht Minigolf, das ist die korrekte Bezeichnung für diesen Sport, den bundesweit rund 10.000 Menschen unter dem Dach des Deutschen Bahnengolfverbandes organisiert betreiben.
Der MGC Göttingen steuert rund 150 aktive und meist erfolgreiche Mitglieder bei. Die erste Herrenmannschaft war mehrfach Deutscher Meister und spielt ebenso in der Bundesliga wie eines von zwei Frauenteams. Auch die Senioren und Jugendlichen mischen in den obersten Spielklassen mit. Etliche Trophäen und versilberte Schläger wurden bei Pokalturnieren national und international in den vergangenen Jahren eingeheimst. Dazu kommt noch das Engagement in den Auswahlteams. Jeweils zwei Frauen und Männer stellt der Club gegenwärtig für die deutschen Nationalmannschaften ab.
Aus einem Pool von insgesamt 26 zugelassenen Bahnen muss jeder beim Verband registrierte Verein 18 Bahnen für seine Anlage auswählen. 6,25 Meter lang auf Eternit, die Abschlagpunkte müssen mit Farbe oder Klebeband markiert sein. Manche Clubs unterhalten überdies Bahnen aus Beton oder Filz, die dann aber deutlich länger sind.
Die meisten Hindernisse auf dem MGC-Parcours, die da so traurig im Regen stehen, kommen dem Gelegenheitsminigolfer aufgrund eigener Erfahrungen auf Freizeitanlagen bekannt vor. Bis auf die Namen: „Hier zum Beispiel haben wir die Schnecke“, sagt Jana Miglitsch, die in Personalunion Mitglied des ersten MGC-Frauenteams und Pressesprecherin ist. Trotz anhaltend miserablen Wetters hat sie sich zu einer sachkundigen Führung über das Spielfeld bereit erklärt. „Und das da drüben ist die Doppelwelle“; ein anderes Hindernis heißt Niere, daneben das Labyrinth, „aber dazu sagen wir einfach Laby“.
Gute Spielerinnen und Spieler schaffen den Göttinger Kurs locker mit 20 oder 21 Schlägen, auch die perfekte 18 ist hier schon zwei-, dreimal gefallen. Außer vom Glück und Geschick der Spieler hängt der Erfolg maßgeblich auch vom Material ab. Anders als beim Golf, erläutert Miglitsch, kommt es beim Bahnengolf weniger auf einen guten Schläger als vielmehr auf den richtigen Ball an. Ball ist Ball, wer das denkt, befinde sich auf dem Holzweg. Da gibt es nämlich glatte und raue Kugeln, mehr- und einfarbige, Hartplastik- und Kunststoffbälle, lackierte und welche mit Noppen. Die billigsten Turnierbälle kosten im Fachhandel 25 Mark, die besten bis zu 200 Mark das Stück.
Zumindest die Göttinger SpielerInnen müssen ihre Bälle und Schläger selber bezahlen. Der Verein stellt dafür die schicken dunkelblauen Trikots zur Verfügung und trägt die Fahrtkosten zu den Auswärtsspielen. Meistens reisen die sechsköpfigen Teams schon zwei Tage vorher an. Hat doch jede Anlage, wie man hört, ihre ganz besonderen Tücken und Eigenheiten, die nur durch intensives Üben vor Ort herauszufinden sind.
In der Frauenbundesliga zum Beispiel golfen an jedem der sechs Spieltage alle sechs Liga-Teams in vier Runden gegeneinander. Der Gewinner kann insgesamt bis zu zehn Punkte mit nach Hause nehmen. Nach den Wettkampfwochenenden beginnt für Jana Miglitsch und ihre Kolleginnen schon am Montag wieder das Ausdauertraining mit Waldläufen durch den Göttinger Forst. Denn „fit sein“, sagt sie, „ist für uns genau so wichtig wie Konzentrationsfähigkeit, Gefühl und Geduld“. Schön, aber was macht nun den Reiz des Bahnengolfens aus, so richtig dramatisch athletisch will einem der Sport ja nicht erscheinen? „Ich find’s einfach spannend“, sagt Miglitsch nach einigem Überlegen. „Man kommt viel herum und lernt viele Leute kennen.“ Seit 15 Jahren ist Jana Miglitsch jetzt „auf höchsten Niveau dabei“. Langeweile ist noch nie aufgekommen, „ich kann davon einfach nicht mehr lassen“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen