piwik no script img

Ein Yeti für Hannover

Wo bitte gehts hier zum Gedanken? Die Expo 2000 ist virtuell und sinnentleert

HANNOVER taz ■ Wohl keiner der Vorwürfe, die die Expo-Macher im Vorfeld zu ertragen hatten, hat sie so sehr getroffen, wie der, dass das Projekt Weltausstellung unzeitgemäß und veraltet sei. Das Internet, so die Kritiker, sei die wahre Weltausstellung unserer Zeit. Der globale Dialog, ständige Informationen über die neuesten Fortschritte – hier ist es täglich und für jedermann weltweit erfahrbar. Wozu noch Weltausstellungen? Innenminister Otto Schily weiß es: „Die Realität ist durch nichts zu übertrumpfen“ gab er gestern bekannt.

Kann sein, er hat recht. Aber die Expo verteidigt er mit diesen romantischen Einwänden keineswegs. Denn die Realität kommt auf der Weltausstellung leider nicht vor. Die Expo ist eine virtuelle Messe. Eine Messe der Virtualität, der multimedialen Inszenierung. Es werden Bildschirme ausgestellt. Und sonst fast nichts. Bildschirme in allen Größen. Überall. In jedem Pavillon, auf jedem Platz, in jeder U-Bahn. Unausweichlich. Ein Bildschirmterror, der die Wirklichkeit verschwimmen lässt.

Zu Beginn lässt man sich ja noch durchaus euphorisch auf die verschiedenen Inszenierungen ein, glaubt noch, dass im „Medialen Garten“ und seinem virtuellen „Baum des Wissens“ im Deutschen Pavillon irgendetwas zu erfahren sei. Aber nichts, gar nichts. Auf der 360 Grad Leinwand sieht man permanent Wälder und Schiffe, auf den kleinen Bildschirmen, die als Blätter am Baum des Wissens hängen, sieht man Blumen und Autos und wieder Wälder. Die Bundesländer präsentieren sich mit den Symbolen ihrer Leistungskraft (Niedersachsen: der VW Käfer, Baden-Württemberg: ein Benz, Schleswig-Holstein: ein Wikingerschiff) und im Nebenraum können Kinder in virtuellen Puppentheatern die Bedeutung typisch deutscher Begriffe wie „Deregulierung“ und „Unternehmergeist“ spielerisch erlernen.

Im Wettbewerb der Bildschirme haben es die etwas leiseren, nachdenklichen Themen naturgemäß schwer. Das war den Machern etwa des Themenparks allerdings so genau bewusst, dass sie zum Beispiel die Ergebnisse ihrer multimedialen Rundfrage nach dem Sitz der Seele im Menschen auf etwa fünfzig Bildschirmen gleichzeitig abspielen. Und auch Erinnerungen der Holocaust-Opfer werden parallel auf etwa dreißig Bildschirmen zum Thema Toleranz gezeigt. Anders wären sie gar nicht aufgefallen. Aber so wirken sie als virtuelles Schreckenskabinett in einer Welt der harmlosen Buntheit.

Aber was soll man auch von einem Themenpark erwarten, der das zentrale Thema Zukunft als Sparkassenfiliale mit multimedialen „Bankingbutlern“ inszeniert und als Symbol für das Jahr 2030 ein von den Sparkassen gesponsertes „Schmuckstück“ vorstellt, mit dessen Hilfe man per Handschlag Geld überweisen kann. Will man uns sagen, dass die Zukunft banal wird? Das bestätigen wir gern. Aber muss man uns deshalb auch zum Narren halten?

Ein Stockwerk höher, im „Planet of Visions“, wachsen Kristalle aus dem Boden. Es sind natürlich nicht einfach nur Kristalle. Es sind Bildschirme darin. Besucher können hier ihre Botschaften und Wünsche an das 21. Jahrhundert hinterlassen. In einer „Datenbank der Visionen“. Ein „Mining Filter“ der Firma IBM untersucht die Botschaften auf „kontextsensitive Einträge“ und lässt dann „das Wesentliche“ der jeweiligen Jahrhundertwünsche auf einer Großleinwand kurz aufleuchten. Keine Frage, dass man nicht selbst entscheidet, was man für wesentlich hält an seinem eigenen Wunsch.

Immerhin – einen wirklichen Helden hat die Entwirklichungsmesse in Hannover schon hervorgebracht: Reinhold Messner hat am Fuße der Post-Seilbahn eine kleine virtuelle Bergstation eingerichtet. Er kämpft für multimediale Alpincenter mit künstlichem Eis in den Großstädten. Die Leute wollen Simulation? Sie sollen sie haben. Und er hat seine Ruhe in seiner schönen, alten Alpenwirklichkeit. Ein Motto hat Messner der Expo auch geschenkt: Es ist die Forderung, seinen persönlichen virtuellen Freund zum Weltausstellungssymbol zu machen: „Ein Yeti für Hannover“, verlangt Messner. Gute Idee. VOLKER WEIDERMANN

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen