: Was ist schon gesund?
Schon bei der Gründung des Gesundheitsparlaments hagelt es Proteste: Man kann sich nicht einigen, wie die Krankenversorgung gesichert werden soll
von TINA STADLMAYER
„Du, als Lichtgestalt der Gesundheitsbewegung, zerstörst die gesetzliche Krankenversicherung!“, rief der Gesundheitswissenschaftler Germanus Hungeling Ellis Huber zu. Der ehemalige Präsident der Berliner Ärztekammer wehrte sich heftig gegen den Vorwurf, neoliberale Thesen zu vertreten: „Ihr habt Schiss!“
Auf der Gründungsveranstaltung des Gesundheitsparlaments auf dem Gesundheitstag 2000 in Berlin flogen die Fetzen. An drei Tagen diskutierten Vertreter von Bürgerinitiativen, Selbsthilfegruppen und Verbänden Hubers Entwurf einer „Berliner Charta für ein soziales Gesundheitswesen“. Zwar gab es viel Lob für den Entwurf, einige Verbandsvertreter fühlten sich jedoch überrollt.
Heftigen Widerspruch löste Hubers Vorschlag aus, eine solidarisch finanzierte „Gesundheitsversicherung“ solle in Zukunft die „Basisversorgung“ abdecken und eine Zusatzversicherung „zusätzliche Bedürfnisse“. Dieser Vorschlag, der so ähnlich auch schon von Gesundheitsministerin Andrea Fischer und der Bundesärztekammer gemacht worden war, führe zur Entsolidarisierung und zerstöre die gesetzliche Krankenversicherung, sagte Hungeling vom NRW-Forschungsverbund. Er sei sicher, dass sich viele BürgerInnen eine solche Zusatzversicherung nicht leisten könnten oder wollten. Außerdem: Was ist notwendige Basisversorgung und was nicht?
Ein Vertreter der Interdisziplinären Gesellschaft für Umweltmedizin schlug vor, Abgaben auf gesundheitsschädliche Produkte wie „Zigaretten, Alkohol, Zucker, tierische Fette und Kraftfahrzeugverkehr“ zu erheben. 50 Pfennig Gesundheitsabgabe auf jede Zigarette brächten 30 Milliarden Mark im Jahr. Dies wurde unter anderem mit dem Hinweis, das führe zu einer „Bespitzelungsgesellschaft“, abgelehnt.
Einig waren sich die meisten Teilnehmer, dass in Zukunft auch Miet- und Aktieneinkünfte bei der Berechnung des Krankenkassenbeitrags einbezogen werden sollen. Beamte und Reiche sollten nicht mehr die Möglichkeit haben, „sich der Solidarität zu entziehen“. Das „Gesundheitsparlament in Gründung“ beschloss eine Resolution, die sich dann doch an Ellis Hubers Text orientierte: Die Gesundheitspolitik stecke in einer „fundamentalen Krise“. Eine „Gesundheits- statt Krankheitsorientierung und eine entsprechende Erneuerung des Versorgungssystems“ sei notwendig. Man wolle „einen gesundheitspolitischen Veränderungsprozess in Gang setzen“ und „Leitlinien für die Neuorientierung des Gesundheitssystems entwickeln“. Eine Arbeitsgruppe will nun einen neuen „Charta-Entwurf“ auf dem Kongress „Armut und Gesellschaft“ am 7. Dezember in Berlin vorlegen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen