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„Sie sind gestraft genug“

■ Ein Bremer Vater lässt seinen behinderten Sohn unbeaufsichtigt spielen / Das Kind ertrinkt im Pool / Der Vater wird schuldig gesprochen, erhält aber keine Strafe

„In den Pool habe ich erst gar nicht gesehen.“ Als er dann doch hineinschaut, liegt sein Sohn darin, mit dem Kopf nach unten. Wiederbelebungsversuche bleiben erfolglos. Ein Jahr ist das jetzt her, ges-tern musste sich der Vater vor Gericht verantworten. Die Anklage lautet auf fahrlässige Tötung.

Der Junge ist behindert, „kann nicht richtig laufen, muss sich festhalten oder gehalten werden“, schildert der Vater. „Verstehen konnte er einen, er hat das wohl begriffen, wenn man ihm was gesagt hat.“ Aber es sei wohl schon so, dass er sich „altersgemäß nicht verständigen“ konnte, stellt der Richter klar. „Stimmt“, sagt der Vater. Und die Mutter: „Er brauchte halt ein bisschen mehr Zuwendung.“

Die Eltern leben getrennt, er „auf'm Grundstück“, sie in der Wohnung. Der gemeinsame Sohn ist fünf, die Mutter hat noch zwei ältere Kinder aus einer anderen Beziehung. „Richtig gefiebert“ habe der Junge, wenn er nicht bei Papa auf der Parzelle ist, erzählt sie. Wenn er dann dort ist, geht das Fieber meist schnell zurück. „Wie“, will der Richter wissen, „richtiges Fieber?“ Richtig gefiebert, bestätigt die Mutter.

Juni 1999. Seit etwa sechs Wochen steht ein kleines Schwimmbecken im Kleingarten des Angeklagten. In den Boden eingelassen, so dass der Rand etwa 30 Zentimeter hoch ist. Gefüllt mit Wasser, 70 bis 80 Zentimeter hoch. Das Wasser vorher gewärmt, in Schläuchen aufs Dach und in die Sonne, von dort ins Becken. „Das hab ich schließlich mal gelernt“, sagt der Vater, ausgebildeter Gas- und Wasserinstallateur. „Da hätte man schöne Therapien für den Jungen drin machen können“, begründet er den Bau des Pools. Und dann leise auf die braune Resopaltischplatte: „Den gibt's jetzt nicht mehr.“ Ein paar Wochen nach dem Tod des Kindes hat er das Ding demontiert.

„Aua“ macht das Becken, hat die Mutter ihrem Kind erklärt. „Dass er da nicht hin soll“, der Vater. Und eigentlich habe der Junge auch kapiert. Und eigentlich „hab ich zum Vater gesagt, mach' den Zaun umzu, dann siehst du den Kleinen eher.“ Das erzählt die Mutter auf die Frage des Richters nach einer Plane für das Becken. Keine Plane, einen Zaun wollte der Vater aufstellen.

„Aber der Lütte fing an zu fiebern, er wollte raus“, berichtet die Mutter. Also bringt sie ihn in den Garten. Bevor der Zaun da ist. „Weil Sie Ihre Ruhe haben wollten“, fragt der Richter nach. „Weniger“, antwortet sie, „weil der Kleine zu seinem Papa wollte. Papapapapapa, so ging's immer.“ Papa hat an dem Tag frei. Mittags mit Weintrinken angefangen. Abends, ergeben Messungen, hat er 1,3 Promille im Blut. „Mehr als eine Flasche Wein“, weiß der Richter.

Bevor der Vater auf die Toilette geht, hat er den Sohn noch im Blick, dann geht er zum Schuppen, achtet nicht darauf, wo das Kind ist – „vielleicht war ich in Gedanken“ – und im Schuppen dann beginnt er zu rufen. Geht raus in den Garten, sucht. „In den Pool hab' ich erst gar nicht gesehen.“

Staatsanwalt und Richter sind sich schnell einig. Artikel 60 des Strafgesetzbuches. Das habe er in seiner Laufbahn zwar noch nicht gemacht, erklärt der Richter. Deshalb müssen die Referendare herauskriegen, ob es ein Urteil oder einen Beschluss gibt. Richter und Ankläger gehen derweil ein Brötchen essen. Und dass der Angeklagte und seine Ex-Freundin so kalt wirkten, erklärt der Rechtsreferendar seiner Kollegin auf dem Flur, dass der Angeklagte auf die richterliche Frage nach dem Vorgang „dumm gelaufen“ gesagt habe, das klinge wohl hart, sei aber bei Leuten wie diesen ganz anders gemeint – „ist halt klassenspezifisch“.

Es gibt dann ein Urteil nach Artikel 60, Strafgesetzbuch. Dem Angeklagten wird die Schuld am Tod seines Sohnes zugesprochen. Aber eine Strafe gibt es nicht. „Denn was soll der Staat noch bestrafen“, erklärt der Richter den Artikel Richtung Anklagebank. „Sie sind gestraft genug.“ Vor der Urteilsverkündung hat der Angeklagte das letzte Wort. „Das ist immer noch eine Sache, die weh tut“, sagt er, „vor allem heute.“ Denn gestern wäre sein Sohn sechs Jahre alt geworden. Susanne Gieffers

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