piwik no script img

Boom! Boom! Jolo! Fit for fun!

Die philippinischen Geiselnehmer haben es geschafft: Die Entführungskultur ist im Eimer

Die Geiselnehmer von Jolo sind merkwürdige Typen. Keiner versteht, was sie eigentlich wollen, außer Beten und Boom! Boom! und einen eigenen Staat mit noch mehr Beten und Boom! Boom! Dafür gibt es allerdings einschlägige Adressen. Unwahrscheinlich ist, dass sie es schaffen, einen funktionierenden Staat mit effizientem Repressionsapparat selbst aufzubauen. Die Geiselnahme hat einen davon jedenfalls nicht überzeugt.

Im Camp geht es doch zu wie auf einem schlapp geführten Zeltplatz. Mit klassischer Geiselhaft hat Jolo nichts zu tun. Prognose: Am Ende wird zwar niemand was davon gehabt haben – die Jolo-Jungs werden sich um ihren Staat betrogen fühlen, die Wallerts um den Urlaub –, aber die Entführungskultur ist schon jetzt im Eimer.

Was soll denn das eigentlich für eine Entführung sein, wo andauernd Leute durchs Geisellager latschen? Wo Trupps von Fotografen, Kameraleuten, Blutdruckspezialisten, HNO-Ärzten und Fußmasseuren sich gegenseitig im Weg stehen. „Sitzt hier schon jemand? – „Nö, ist frei.“ – „Leider nur Gartenstühle.“ – „Bloß keine Umstände, ist doch ein Geiselcamp.“

Boom! Boom! Auf Jolo wird es jetzt unübersichtlich. Ist der dahinten in den kurzen Hosen vom ZDF oder ist es der Mann mit dem Sushi? „Wer hatte die Dragon-Rolls?“ – „Renate zahlt.“ – „Ne, lass mal, die schläft jetzt.“ Neulich stand Udo Walz aus Berlin vor der Tür, er sei Starfigaro aus Berlin und wolle mal nach den Menschenrechten sehen. Amnesty war auch gekommen, die Geiseln bräuchten ja dringend mal ’nen Haarschnitt.

Mit der Würde und Feierlichkeit großer Entführungsfälle ist es vorbei. Das geht schon mal mit dem Ort los, Jolo. Lässt an Funsportart und Kindergeburtstag denken. Halten wir mal den Sound von Mogadischu & Landshut dagegen. Mogadischu, raunt es Nirvana-mäßig, das klingt nach Wüstensand und deutscher Scholle, nach lauernder Folklore, die blitzartig ins Katastrophische kippt. Dann fällt ein Schuss. Pause, Schweigen, Aus. Jetzt noch mal vorspulen nach Jolo. „Huhu, sind jetzt auf Jolo“.

Neulich ließen sie von Schreinern ein Baumhaus für die Geiseln bauen. Ein Baumhaus! Schleyer wurde in einem Besenschrank aufbewahrt. Da herrschte absolute Kontaktsperre, Iso-Haft, Stammheim-artig. Und zwar ohne Ausnahme. „Hanns-Martin, kommst du mal? Da ist jemand vom Spiegel!“, gabs einfach nicht.

Auch die Roten Brigaden waren Entführer alter Schule. „Ey Aldo, die RAI ist dran, sollst gleich ins Studio, nimm die Vespa und bring Pizze mit.“ – „Geht klaro.“ Dieser Dialog hat nie stattgefunden. Selbstverständlich wurden in Rom die Interviewwünsche der RAI stets abschlägig beschieden. Nicht mal ein Pfarrer durfte zur letzten Ölung des strengen Katholiken Moro kommen.

„Heute keine Führungen“ – auch im Fall Jan Philipp Reemtsma waren die Besuchszeiten extrem eingeschränkt. Reemtsma konnte sich in Ruhe der Lektüre widmen. „Sonntagabend, 19 Uhr, Jan Philipp Reemtsma liest Karl Kraus, Ort: im Keller, mit Sekt und Häppchen, Reservierung erbeten. Eure Entführer“? Nein, war nicht. Da hieß es, sorry, auch wir haben unsere Vorschriften. Und so sollte es doch auch sein. Boom! HEIKE RUNGE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen