SIND JETZT DIE KONZERNE SCHULD AM HOHEN SPRITPREIS?: Marktgeschrei
Fachsimpeln am Büffet in der Küche über die New Economy. Dann beim Salzstangenknabbern auf der Couch mit tollen Aktiengewinnen geprahlt und schließlich beim Tanzen sich noch schnell ein paar Anlagetipps ins Ohr gebrüllt. So in etwa die üblichen Partys in den vergangenen Monaten. Doch das Thema hat sich geändert. Nun wird wieder über ein altes Thema geredet: den Benzinpreis. Und dabei zeigt sich, dass von all den Crashkursen in glänzenden Magazinen und bunten TV-Berichten nicht viel hängen geblieben ist.
Nachdem kürzlich noch vom Aktienmarkt geschwärmt wurde, ist nun der Markt wieder doof. Kaum steigen die Rohölpreise, sinkt der Euro, wird das Benzin teurer, da wird wieder nach dem Staat geschrien. Benzin über zwei Mark? Das geht doch nicht. Und die Politiker mit ihren Ohren direkt am Partygeschehen überschlagen sich mit Vorschlägen: Man solle doch bitte die Ökosteuer aufschieben, die Mineralölsteuer abschaffen, die Kilometerpauschale erhöhen – oder wenigstens Benzingutscheine für den Urlaub verteilen!
Und dann wird ein altes Klischee wiederbelebt: Die Konzerne sind schuld. Seit Tagen nervt die Bild-Zeitung mit ihrer täglichen „Benzin-Irrsinn“-Kampagne auf der Titelseite, in der regelmäßig auf den Konzernen herumgehackt wird. Auch SPD-Politiker, von Kanzler Gerhard Schröder bis zum Fraktionsvize Michael Müller, fordern inzwischen vom Kartellamt, das Gebaren der Konzerne zu überprüfen. Wenn die freilich etwas Wettbewerbswidriges tun, dann bieten sie höchstens den Sprit zu billig an – und nicht zu teuer. Aber warum sich lange mit den Gesetzen des Benzinmarktes auseinandersetzen? Es ist viel einfacher, gleich auf die Konzerne einzuschlagen. Die Regierung ist dann doppelt froh, denn nun geht es wenigstens nicht mehr gegen die Ökosteuer.
Je nachdem, wie die Politiker zur Regierung stehen, sehen die Vorschläge aus. Ob Ökosteuer weg (Opposition), Ölkonzerne belangen (Regierung) oder Kilometerpauschale erhöhen (SPD-Ministerpräsidenten): Alle Vorschläge laufen am Ende darauf hinaus, dass der arme Bürger weniger zahlen soll, zumal der Preis über jeder Tankstelle in riesigen Ziffern angeschlagen ist. Da kann auch netto durch Steuerreformen mehr im Portemonnaie hängen bleiben, da kann die Steigerungsrate der Lebenshaltungskosten seit Jahren sensationell niedrig sein, alles egal.
Seit dem Boom der Hochtechnologieaktien verbinden viele Bürger mit dem Markt ein ewiges Gewinnversprechen. Ein Glücksspiel ohne Risiko. Doch Rohölpreise können steigen, Aktien können abstürzen. Je eher diese Lektion gelernt wird, desto besser. MATTHIAS URBACH
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