Satanische Worte vom sexy Boss

Clintons Duma-Rede findet ein kühles Echo. Menschenrechte und Tschetschenienkrieg spielen bei seinem Moskau-Besuch kaum eine Rolle

aus MoskauKLAUS-HELGE DONATH

Den historischen Moment würdigten die Duma-Abgeordneten mit reservierter Kühle. Ein Viertel von ihnen war zu Bill Clintons Rede, dem ersten Auftritt eines amerikanischen Präsidenten vor Russlands gesetzgebender Versammlung, erst gar nicht erschienen. Nur Weißrusslands autoritärem und glühend antiamerikanischem Präsidenten Alexander Lukaschenko war als ausländischem Staatsoberhaupt die Ehre einer Duma-Einladung vorher noch zuteil geworden. Ihn – den Verwandten im Geiste – hieß das Haus seinerzeit mit stehenden Ovationen willkommen.

Clintons Rede konnte den Deputierten eigentlich keinen Grund zur Unzufriedenheit geben. Ein „starkes Russland“ läge auch im amerikanischen Interesse, rief er. Moskau bedürfe keiner Hilfe mehr von außen und habe das Recht, einen eigenen Weg zu wählen. Indirekt bilanzierte Clinton gar den Fehlschlag der amerikanischen Russlandpolitik unter seiner Ägide. Amerikaner sollten nicht immer glauben, sie hätten auf alle Fragen Antworten und jegliches Problem ließe sich beseitigen, sobald Russland nur der Auffassung Washingtons folge.

Die Parlamentarier nahmen die Selbstkritik zur Kenntnis, als hätten sie nichts anderes erwartet. Auf Unmut stieß unterdessen Clintons kritische Randbemerkung, „als Freund“ sei er mit dem Krieg in Tschetschenien, der in der Zivilbevölkerung viele Opfer gefordert habe, nicht einverstanden und vermisse den Ansatz einer politischen Lösung.

Boris Gryslow, Fraktionsvorsitzender der Partei von Präsident Wladimir Putin, „Einheit“, kommentierte eingeschnappt: Offensichtlich sei der US-Präsident mit der Problemlage nicht vertraut. Der kommunistische Abgeordnete Wasily Schandibin schauderte: „Der Satan hat gesprochen.“

Menschenrechtslage und Tschetschenienkrieg rangierten auf Clintons Agenda ganz weit unten. Im persönlichen Gespräch mit Putin mag der Krieg ein Thema gewesen sein. Öffentlich äußerte sich Clinton dazu nur am Rande und aus einem durchsichtigen Motiv: um der Kritik von Menschenrechtsgruppen in den USA vorzubeugen.

An Material hätte es nicht gefehlt. Erst letzte Woche legte die Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch einen Bericht vor, der endgültig bestätigte, dass die russische Armee im Februar in der Ortschaft Nowije Aldi an der Zivilbevölkerung ein Massaker begangen hat. Mindestens sechzig Menschen fanden damals den Tod.

Überdies hat Moskau noch keinen Punkt der im April verabschiedeten Resolution der UN-Menschenrechtskommission eingelöst. Weder erhielten internationale Menschenrechtsgruppen Zugang zum Kriegsgebiet, noch konnten unabhängige Beobachter die Arbeit in Tschetschenien aufnehmen.

Zurückhaltung und Rücksicht, die die USA im Kaukasuskonflikt üben, sind kein Novum. Mitarbeiter des russischen Außenministeriums machen seit langem schon kein Hehl mehr daraus: Tschetschenien sei für Washington kein Thema mehr.

Womit ist die Rücksichtnahme begründet ? Mit dem Verständnis einer Supermacht, die in ihrem eigenen Hinterhof Separatismus auch nicht dulden und nicht weniger zimperlich zuschlagen würde? Das mag ein Grund sein. Wichtiger scheint indes Washingtons Anliegen, die Russen noch dazu bewegen zu können, einer Abänderung des ABM-Vertrages über die Begrenzung von Raketenabwehrsystemen zuzustimmen. Das NMD-Projekt, mit dem sich die USA gegen Angriffe aus so genannten Schurkenstaaten schützen will, stößt im Kreml bisher noch auf strikte Ablehnung. Zumal die potenziellen Agressoren aus US-amerikanischer Perspektive – Iran, Irak und Nordkorea – zu potenziellen strategischen Partnern Russlands gehören. Immerhin konnte Clinton Putin für eine gemeinsame Erklärung gewinnen: „Es gibt eine wachsende Bedrohung durch Raketen, auf die geantwortet werden muss, aber wir haben uns nicht geeinigt, wie das am besten zu machen ist.“

Mehr Aufmerksamkeit als dem Kaukasuskrieg widmete Clinton der beunruhigenden Tendenz, die Pressefreiheit einzuschränken. Demonstrativ besuchte er den Privatsender Echo Moskau und stellte sich den Hörerfragen. Der Kreml-Führung, die dem unabhängigen Medium der Gruppe Most die Steuerfahnder als Drohung ins Haus geschickt hatte, riet der medial hart geprüfte US-Präsident zu mehr Gelassenheit und kaltem Blut.

Als Clinton die Duma verließ, stürzte eine 35-jährige Frau auf den irritierten Präsidenten zu: „Bill, lass deine Hosen runter und zeig, was für ein sexy Boss du bist!“ Noch hat der Kreml nicht alles unter Kontrolle.