: Global denken, lokal blasen
Trotz ihres Frontfrauenstatus haben die (Welt-)Musikerinnen bei der Kölner Schäl Sick Brass Band nicht viel zu sagen
Manchmal geben Frauen die Richtung an und haben doch das Steuer nicht in der Hand. So ist es auch bei der Schäl Sick Brass Band aus Köln, der aktuell wichtigsten Weltmusik-Formation aus Deutschland. Ihre erste Sängerin Maryam Akhondy kam aus dem Iran, also spielte man viel Persisches. Dann rückte die Bulgarin Iwanka Iwanowa nach, prompt steht bei der jüngsten CD „Maza Meze“ ganz der Balkan im Vordergrund.
Viel zu sagen haben die Frontfrauen der Schäl Sick Brass Band trotzdem nicht. Für alle relevanten Entscheidungen inklusive Musikauswahl und Arrangements ist Raimund Kroboth verantwortlich. Er ist der Chef der neunköpfigen Gruppe, in der auch die übrigen Musiker – fünf Bläser und zwei Perkussionisten – vor allem ausführende Organe sind. Hervorzuheben sind die Bandstrukturen auch nur, weil die Schäl Sick Brass Band von manchen Journalisten als „große multiethnische Familie“ bezeichnet wird. Wohl richtig, wenn man ein patriarchales Familienverständnis hat.
Andere multikulturelle Einsprengsel, wie der deutsch-nigerianische Rapper Adegoke Odukoya oder der ägyptische Pop-Sänger Mohamed Mounir sind ohnehin nur „Gäste“. Wer Raimund Kroboth inspiriert, wird zur Zusammenarbeit mit der Kölner Diskursblasmusik eingeladen: Die musikalische Green Card für Leute, die eh schon in Köln wohnen oder weilen.
Auf der Bühne wirkt Kroboth dagegen wie der bescheidenste Bandleader aller Zeiten. Schüchtern sitzt er an der Seite und spielt die Waldzither, ein altböhmisches Zupfinstrument, das man nur selten unter den Bläsern hervorhört. Dass er der „musikalische Direktor“ ist, sieht man nur, wenn er seine schwarz-rote Samtkrone aufsetzt.
Seit mehr als 20 Jahren lebt der heute 48-Jährige in Köln. An den Rhein kam der gebürtige Landshuter, um Jazzgitarre zu studieren. Ursprünglich entstand die Band aus einem Blues-Workshop in Köln-Kalk auf der rechten Rheinseite Kölns, der „Schäl Sick“. Weil überwiegend Bläser gekommen waren, formierte Raimund Kroboth bald ein Blasorchester und arrangierte Fela Kuti, Prince und osteuropäische Folklore für seine Brass Band um. Unberechenbarkeit als Programm – das hat Kroboth beibehalten. Von seinen Amateurmusikern trennte er sich jedoch bald, um die Schäl Sick Brass Band mit Profis zu bestücken.
Wohl in keiner anderen Stadt hätte die Band so groß werden können. Zum einen gibt es in Köln den alternativen Karneval, bei dem Kroboths Truppe als Teil der multikulturellen „Humba“-Bewegung eine wichtige Rolle spielt. Zum anderen sitzt in Köln der WDR, der die Band von Beginn an massiv gefördert hat.
Mit „Maza Meze“ hat die Schäl Sick Brass Band ihre bisher homogenste Produktion geschaffen – obwohl der Titel „gemischter Vorspeisenteller“ bedeutet. Neben der geballten Balkan-Power finden sich nur wenige Farbtupfer aus Nahost, Kurdistan und Brasilien. Doch wie lange die Balkan-Phase der Band anhält, weiß Raimund Kroboth selbst noch nicht. Neulich wurde ihm eine ägyptische Friseuse als Sängerin empfohlen ... CHRISTIAN RATH
Schäl Sick Brass Band: „Maza Meze“ (ACT), Tour: 7. 6. Hannover und 9. 6. Plauen
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