: Silberner Alpenblick
Liebe in Zeiten von Abstraktion: Käthe Kruse bestückt die Kunsthalle Bremerhaven mit Objekten, Videos und gemalten Rauminstallationen. Hühner picken zu Discomusik, Berge heißen Sexe Rouge
von HARALD FRICKE
Jedes Ding hat seine eigene Farbe, jedes Wort eine andere Tönung. Die Welt ist ein Tuschkasten, zumindest für Käthe Kruse. In ihrer Ausstellung ist der Besucher wie in einem gigantischen Malprogramm gefangen, das jeden Winkel der Kunsthalle Bremerhaven erfasst hat. Die Wände im Eingang sind mit schmalen Farbstreifen übertüncht, wie sie von den Mischungsverhältnissen auf vierzehn kleinen Ölgemälden vorgegeben werden. Die Bilder gehen auf Farbkonstellationen zurück, die Kruse nach den Geburtstagen einiger Freunde erstellt hat. Wer im Frühjahr geboren wurde, muss sich mit allerlei Blau abfinden, Herbstkinder haben Gelb in die Wiege gelegt bekommen, der Winter ist rot und braun. Durch die Verlängerung der Bildflächen auf Wände und Decken ist der Kunstraum nun selbst ein buntes Gleichnis für ein Leben geworden, das von Farben bestimmt ist.
Farbhoroskope, Lebensstreifen: Wo andere Karten legen, setzt die 1958 geborene Kruse auf Malerei. Dabei geht es nicht um eine Bilder-Esoterik, die irgendeinen kosmischen Widerschein im Alltag sucht. Eher schon arbeitet Kruse mit Ordnungsmodellen und dadaistischen Sprachspielen, die sie ins Feld des Visuellen übersetzt. Oder in Popmusik. Deshalb kann man sich in einem abgedunkelten Raum ihre letzte CD „Le Sexe Rouge“ als Abfolge seltsamer Videoclips anschauen: Dort wird das Salz aus Liebe geweinter Tränen zu einem See, der vier Minuten lang in der Sonne glitzert, nur von einem Klavier und Kruses halb gesprochenem Chanson begleitet. Und für „L'amour analphabete“ picken Hühner sich ihre Körner zu Discomusik im Hühnerstall zusammen.
Tatsächlich bildet Kruses 1997 veröffentlichte CD die Grundlage für die in Bremerhaven gezeigten „13 Arbeiten“. Das „Alphabet des Augenblicks“, ursprünglich eine brechtartige Aufzählung moderner Reizwörter von „Angst“ bis „Zukunftsaussicht“, ist nach Art der Konzeptkunst auf drei Schriftbildern in Deutsch, Englisch und Französisch zu lesen. Aus der Disco zu „L'amour analphabete“ wurde eine Reihe mit EKG-Aufzeichnungen, deren Kurven nach 20 Minuten einige Erregungsschübe verbuchen – Liebe in Zeiten von Abstraktion. Mitunter hat die Verflechtung von künstlerischer Gestaltung und Biografie auch Readymade-Charakter: Dann besteht die Landkarte zu Alexander von Humboldts Südamerika-Reise aus einem gut eineinhalb Meter langen abgeschnittenen Rastazopf aus dem Haarschopf der Künstlerin.
Ihre eigenen Reisen hat Kruse an der gegenüberliegenden Wand festgehalten. „Zatteltracht im Zauberwald“ ist eine Serie aus 27 gerahmten Blatt Papier, die im Himalaya-Staat Bhutan per Hand geschöpft wurden. Das grobe Material erinnert an Fossiliensammlungen – manchmal sind ganze Äste und Blumenstengel mit ins Papier eingelassen. Um die kunstvolle Arbeit nicht zu zerstören, hat Kruse ihre Motive auf das Schutzglas gemalt und die Umrisse von Gaudís Kathedrale in Barcelona oder japanischen Gebetsschreinen säuberlich freigekratzt. So treffen sich in der Überlagerung die Erinnerungschnipsel weit auseinander liegender Kulturen.
Schon in den Achtzigerjahren hatte Kruse als Mitglied der Performance-Gruppe Die Tödliche Doris die klare Formensprache der Kunst gegen die Unruhe des großstädtischen Lebens ausgespielt. Mittlerweile liegen die Brüche in ihrem Umgang mit einer von der Zivilisation überwucherten Natur, die in sperrigen Artefakten aufscheint. Statt sich aber nach einem ursprünglichen Paradies zu sehnen, parodiert Kruse lieber die vorgefundenen Verhältnisse. Eine Gebirgswiese wird durch sorgsam aufgereihte Matten mit Silberbesteck in ein antiquarisches Sammlerstück aus Omas Schublade transformiert, die Schweizer Alpen sind als zittriges Panorama auf milchige Glasscheiben gezeichnet.
Nach der Bergkette ist auch die CD benannt: Der Sexe Rouge ist 2.940 Meter hoch und gleich neben dem 3.122,6 Meter hohen Oldenhorn gelegen. Doch die Genauigkeit, mit der Geologen die Welt vermessen, erscheint in der Übertragung auf die Sprache der Kunst nur mehr wie absurdes Spezialwissen. Wo Novalis klagte, weil Zahlen und Figuren die Schöpfer aller Kreaturen sind, kehrt Kruse dieses Unbehagen in der Logik um: Mit den Fakten wächst auch die Fantasie. Ihre Waffe ist die Weitläufigkeit der Erscheinungen.
Bis 18. 6., Kunstverein Bremerhaven
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