Lieber ein kürzerer Chirac als gar keiner, fand der Präsident

Frankreichs Staatschef ist plötzlich für eine Verkürzung seines Mandats auf fünf Jahre – nach fast allen anderen Politikern. Jetzt soll es eine Volksabstimmung geben

PARIS taz ■ Dasselbe, aber kürzer – so definiert der französische Staatspräsident den Begriff „modern“. Und weil Frankreich „moderner“ werden muss, wie Jacques Chirac am Montagabend im französischen Fernsehen erklärte, will er jetzt das „Quinquennat“ einführen – statt für bislang sieben soll der Staatspräsident künftig nur noch für fünf Jahre gewählt werden. Heute schon soll der Ministerrat über das entsprechende Gesetz zur Verfassungsänderung beraten. Noch in diesem Monat sollen beide Kammern des Parlaments darüber diskutieren. Und voraussichtlich im Herbst sollen die Franzosen darüber abstimmen.

Damit geht es jetzt ganz schnell in die Entscheidung über eine Frage, die in Frankreich seit 27 Jahren immer wieder diskutiert wurde. Bereits der während seiner Amtszeit verblichene Georges Pompidou hatte in den 70er-Jahren die Verkürzung auf fünf Jahre angeregt. Auch seine Nachfolger, erst der rechtsliberale Valéry Giscard d’Estaing, dann der Sozialist François Mitterrand, sprachen von dieser „demokratischen Notwendigkeit“. Freilich bloß vor ihrer Wahl.

Mitterrand, der sogar zweimal sieben Jahre im Palast blieb, verstarb direkt anschließend. Giscard d’Estaing hingegen erinnerte sich nach seinem Auszug aus dem Palast plötzlich doch wieder an das Quinquennat. Der Rechtsliberale, der seit vielen Jahren im Inneren des konservativen Lagers gegen Chirac intrigiert, war es auch, der Anfang Mai das Thema erneut lancierte.

Paradoxerweise kommt die jahrelang diskutierte Verfassungsrefom jetzt ausgerechnet mit jenem Staatspräsidenten ins Rollen, der als Einziger in seinem Amt immer dagegen war. Noch bei seiner letzten Ansprache zum Nationalfeiertag am 14. Juli 1999 hatte Chirac gesagt: „Das Quinquennat wäre ein Irrtum.“

„Haben Sie Ihre Meinung geändert?“, eröffnete daher einer der beiden Starjournalisten am Montagabend das auf den beiden größten TV-Sendern übertragene über 30-minütige Gespräch mit dem Staatspräsidenten. Nach einem ewig erscheinenden Schweigen erhob Chirac hinter seinem Schreibtisch und vor seinem mit Goldstuck verzierten Kamin seine tiefe Stimme, um allen Ernstes zu erklären, er sei „nie gegen eine Verkürzung“ gewesen. Er habe sich lediglich Sorgen um die Stabilität der Institutionen gemacht.

Jetzt aber, so Chirac, sei es möglich, das „Quinquennat“ einzuführen, ohne sonst irgendetwas an der Verfassung zu ändern. Er will bloß die Zahl Sieben durch die Fünf ersetzen. Alle anderen Reformvorschläge – darunter jenen, einen Staatspräsidenten bloß zweimal hintereinander wählen zu lassen – lehnt er ab. Mit dem „Quinquennat“, so Chirac, hätten die Franzosen häufiger Gelegenheit zur Wahl ihres Präsidenten. Es sei eine im internationalen Vergleich „normale Amtsdauer“ und verringere außerdem die Wahrscheinlichkeit von Kohabitationen zwischen beispielsweise einem rechten Präsidenten und einer linken Regierung.

Tatsächlich ist gegenwärtig fast das komplette politische Etablissement in Paris für die Reform. Dagegen sind lediglich die an der Regierung beteiligten Kommunisten sowie die Bürgerbewegung von Innenminister Chevènement auf der linken und die aus Chiracs RPR ausgetretenen rechten Neogaullisten von Charles Pasqua auf der rechten Seite des politischen Spektrums.

Dennoch sorgte Chiracs Fernsehauftritt gestern für einen kleinen Aufruhr in der Nationalversammlung. Denn der Staatspräsident hatte angekündigt, er werde keine Änderungsvorschläge in seinem Gesetz zur Einführung des Quinquennats dulden. Andernfalls ziehe er es möglicherweise wieder zurück und lasse es gar nicht zu dem Referendum kommen, das nur er organisieren kann.

Unberechenbar ist auch das Verhalten des französischen Volkes. Schon 1992 haben die Franzosen im Maastricht-Referendum gezeigt, dass sie gelegentlich ganz anders entscheiden, als ihre „politische Klasse“ denkt. Dieses Mal könnten die Franzosen beispielsweise auf die Idee verfallen, dass der 67-jährige Chirac das „Quinquennat“ jetzt einführt, um die Chancen seiner Wiederwahl im Jahr 2002 zu erhöhen. DOROTHEA HAHN