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Der Mond oder auch die Mondin

■ Mit Mond-Metaphern aus Arno Schmidts Gesamtwerk inszeniert Michael Altmann Des Mondes Zauberschein als sprachgewaltiges und musikalisches „Klang-Zümbaal“

Michael Altmann, Schauspieler am Thalia Theater, hat eine ganz besondere Beziehung zum Hamburger Nachkriegsdichter Arno Schmidt (1914-1979). Seine Sprachgewalt, die der eines Joyce ähnelt und das stetige „Aufkratzen von zuasphaltierten Sprachfloskeln“ imponieren unverändert. Wie in Zettels Traum, Schmidts Parallel-Roman von 1970, trägt auch Altmann immer die Taschen voller Zettel mit Gedanken. So ähnlich kam auch das FreitagNacht Programm Des Mondes Zauberschein, ein Klang-Zümbaal nach Texten von Arno Schmidt, zustande. Altmann fungiert dabei als sein eigener Regisseur und Schauspieler. Musikalisch unterstützt wird er bei der Schmidtiade von der Musikwissenschaftsdozentin Georgia Hoppe.

Hierzulande gilt Arno Schmidt immer noch als schwer verdaulicher Außenseiter in den Weiten der deutschen Nachkriegsliteratur. Mit seinem radikalen Anspruch an kritische Thematik, Form und Sprache, die immer auch den aktuellen Weltzusammenhang mit einbezieht, erschließt sich der menschenscheue Nachtmensch nicht beim ersten Lesen. In seinen Romanen wie Das steinerne Herz von 1956 oder den Erzählwerken Leviathan (1949), Brands Heide (1951) bis zu dem wohl bekanntesten Mammut-Werk Zettels Traum (1970) drückt er seine Verachtung für die Zeit in höchst experimentellen und radikal subjektiven Sprachspielen, hochmütig bis zur Karikatur aus. Während der vielen einsamen nächtlichen Arbeitsstunden leistete ihm häufig ein runder wei-ßer Begleiter Gesellschaft, der Mond – oder auch die Mondin. Für Schmidt, wie übrigens auch für Altmann, verkörpert der Mond eher das weibliche Prinzip. „Die Sonne gibt zwar das Leben, aber die Mondin gibt der Natur die Möglichkeit, auszuruhen,“ sagt Altmann.

Tausende von Buchseiten hat er gewälzt, alle Mondmetaphern aus dem Gesamtwerk herausgeschrieben und daraus ein Konzentrat von 120 kurzen Bildern erstellt. Herausgekommen ist keine Lesung, sondern ein Musikstück mit Text, ein mehrsätziges Nocturne. Die einzelnen Kapitel (Nacht, Sie, Vision, Dorf und Elfen) finden ihr musikalisches Pendant in der Vertonung durch Georgia Hoppe, mit der Altmann schon bei Winterreise und Das letzte Band zusammengearbeitet hat. Das Klangsymbol wird bei ihr zum abgründigen sprachgewaltig-gesanglichen „Klangzümbaal“ mit den Mitteln von Saxophon, Klarinetten, E-Gitarre und Samples.

Der Zauber des Mondes hat bei Schmidt viele Gesichter, mal verkörpert er schaurige Alptraumvisionen, dann wieder weiche erotische Metaphern: „Der Mond, das halbe Gesicht geschwärzt, belauerte mich um die Hausecke“, heißt es da, oder „Aus der Spinndüse des Mondes quollen die Lichtfäden, chemiefasern“, andernorts „Der beinerne Mond gaffte aus seinem Hexenring“. Einmal scheint er durchs Fenster auf zwei Liebende: „Der Akt wurde über Mond in alle Welt übertragen“. Neben dem Mond spielt die Natur eine zentrale Rolle. Sie ist für Schmidt wie für Altmann ein Ort der Zuflucht, sie gibt Halt und Hilfe, fern der „rauhen Leute“. „Aber“, so räumt Altmann ein, „sie drängt auch jeden, der ihre Nähe sucht, hernach die Menschen wieder zu pieken.“

Annette Stiekele

Fr, 9. Juni, 23 Uhr, Thalia

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