Erst schießen, dann fragen

■ Schüsse vor dem Polizeipräsidium aus Angst vor der PKK: Der Angeklagte meint, nur schneller als der Feind gewesen zu sein

Man kannte sich. Schon ehe sein Vater zwei von den Anderen erschoss. Drei Tage war das her, seitdem schien hinter jeder Ecke eine Gefahr für das eigene Leben zu lauern. Er sei seinem Gegenüber nur zuvorgekommen, erklärt Mehmet C. vor dem Amtsgericht, warum er am 28. Februar Cetin K. ins Knie schoss, als er diesen vor dem Polizeipräsidium traf. Die Vorgeschichte, deutet er vage an, habe „mit der PKK zu tun“.

Das Reizwort, das in Gerichtssälen sonst die Stimmung gefrieren lässt, verhallt wirkungslos im Raum. Entspannt ist die Atmosphäre, obgleich im Vorfeld viel von „Bandenkrieg“ und „Schutzgelderpressung“ gesprochen und geschrieben worden war. Der Richter ist bemüht, die Aufklärung auf die konkrete Tat zu beschränken und den Hintergrund nicht in den Vordergrund treten zu lassen. Einmal aber wird offensichtlich, dass es bei der Schießerei sich nicht nur um eine Auseinandersetzung zwischen den beiden Beteiligten handelte, sondern diese als Repräsentanten verfeindeter Kreise aufeinander trafen. Da ruft plötzlich eine ältere Frau aus dem abgetrennten Zuschauerraum dem Angeklagten zu, er solle ihr in die Augen sehen. Und der Richter droht der Frau den Rausschmiss in einer Schärfe an, die man ihm zuvor nicht zugetraut hätte.

Mehmet C., seit der Schießerei vor dem Polizeipräsidium in Haft, war Mitbetreiber der Diskothek „Check Inn“ in Wandsbek. Dort gab es wenige Tage zuvor einen Streit, bei dem „mein Vater zwei Leute umgebracht hat“, wie Mehmet C. nüchtern zusammenfasst. Seither habe er panische Angst gehabt. Ein Freund habe ihn am Telefon gewarnt, „die von der PKK“ seien auf der Suche nach ihm. Dann musste er ins Polizeipräsidium, wo er als Zeuge geladen war. Zusammen mit Bruder und Ehefrau fuhr er dort auf den Parkplatz, sah Cetin K. mit zwei Bekannten, glaubte an eine Falle und sprang mit seiner Waffe in der Hand aus dem Wagen. „Im Check Inn sind die Leute vor meinen Augen im Auto gestorben. Ich wollte nicht, dass mir dasselbe passiert.“ Cetin K. sei ihm als „Waffenträger“ bekannt. Als dieser seine Jacke öffnete, schoss ihm der Angeklagte ins Bein.

Ob der Andere tatsächlich eine Pistole bei sich hatte, bleibt an diesem ersten Prozesstag ungeklärt. Denn der damals Verletzte erscheint nicht vor Gericht. Der Staatsanwalt, der den Angeklagten nach dem Blutbad vorm „Check Inn“ vernommen hatte, bestätigt allerdings, dass dieser der Polizei so sensible Informationen über die PKK gegeben habe, dass er in der Tat mit Repressalien habe rechnen können. Elke Spanner