: Tatzeit „Morgengrauen“
■ Zwei Bremer Zivildienstleistende drehten einen abendfüllenden Krimi im guten, alten Tatortstil in ihrer Freizeit, manchmal sogar schon um fünf Uhr morgens
Achtung, zwei Sätze Nöhlen: Junge Menschen werden von einer omnipräsenten Unterhaltungsindustrie abgefüllt, wie die Tauben am Marcusplatz, putputput. Und für den Fall, dass sie doch mal nach einer echten Herausforderung suchen, legt man ihnen eine Scaterbahn mit integriertem Hindernis vor die Füße, damit auch das Auf-die-Schnauze-Fallen in gesitteten Bahnen abläuft. Ein viel bejammerter Tatbestand, den wir hier wirklich nicht schon wieder zu erwähnen wagten, wenn, ja wenn es nicht Hans von Machowiak gäbe. Der ist nämlich anders.
Er hatte eine Idee, was an sich noch nicht bestaunenswert wäre. Aber darüber hinaus unterzog sich der 20-Jährige der Anstrengung, diese Idee in die Tat umzusetzen. Und wer kann das heutzutage schon von sich behaupten. Kurz: Er mietete am vergangenen Mittwochabend das Kino 46 für immerhin 250 Mark an, kippte jede Menge Sekt und Gummibärchen umsonst ins Publikum und zeigte seinen höchsteigenen Kriminalfilm „Morgengrauen“, dem er und sein Koproduzenten Timo Lotze immerhin die wertvolle Freizeit eines ganzen Jahres opferten. Machowiak ist Hautdarsteller, Produzent und Drehbuch-Coautor in Personalunion. Im wirklichen Leben karren er und Lotze als Zivildienstleistende für das Rote Kreuz RollstuhlfahrerInnen durch die Stadt. Und auch die zwei Dutzend FreundInnen und Bekannte, die am Filmprojekt beteiligt waren, sind großenteils in jenem interessanten Schwebezustand zwischen Abitur und Berufsfestlegung.
Der logistische Aufwand hinter solch einem Filmprojekt kann kaum groß genug eingeschätzt werden: Schnittplatz organisieren, Wohnungen mit hässlichen grauen Plüschsofas ausfindig machen zum Zwecke der Generierung einer kultivierten Proleten-Atmosphäre. Da im Film kräftig gezündelt und gemeuchelt wird, galt es überdies, eine echte Feuerwehrmannschaft (Grüße nach Bremen-Burgdamm) und ein Krankenhaus (Bremen-Nord) zur Mitarbeit zu gewinnen. Und bringen Sie erst mal die Polizei dazu, ein paar Streifenwagen und Uniformen herauszurücken. Kein Kinderspiel. Dann auch noch das Übel mit Bremen an sich. „Bremen gibt nichts her“, meint Lotze. Und so machte man sich an manchem heiligen Samstag um fünf Uhr früh auf die Socken, um rechtzeitig das „Morgengrauen“ zu filmen, in richtigem Großstadtambiente, in Hamburg, zum Beispiel beim Bismarckdenkmal.
„Morgengrauen“ sieht so aus, wie eben ein Film zwangsläufig aussieht, den sehr junge Menschen drehen, und zwar mit sehr viel Arbeitseinsatz und Herzblut aber nicht allzu intimen cineastischen Kenntnissen und schon gleich so gut wie gar keinen Erfahrungen mit der Kamera. Der Film funktioniert nach den Mustern von Millionen Fersehkrimis vor ihm und nach ihm. In den Plot-Pott sind die uralten Prickelthemen reingekippt – ein bisschen Rotlichtmilieu, ein biss-chen Drogen, eine Frau, die die Vergewaltigung ihrer Schwester rächt, weil der Staat mal wieder versagt hat – alles eher grob geschüttelt als gekonnt gerührt. Fehlen eigentlich nur noch die Mädchenhändler. Im Zentrum des Interesses stehen aber nicht Täter und Opfer, sondern die zwei Kriminalkommissare. Wie all die anderen Chandler- und Hammett-Klone verbergen sie unter der harten, abgebrühten Schale ein weiches Herz. Die obligate Beziehungskrise (heute heißen die Lebensabschnittspartnerinnen übrigens Ramona) quittieren sie mit dem obligaten Schulterzucken. Die Augen einer Toten aber schließen sie zärtlich.
Nun ist es nicht gerade einfach, mit einem SchauspielerInnenkader von lauter frischen, gesunden, kraftstrotzenden, haarbegelten Menschen mit Zukunftsperspektive Bankkaufmann, Arzt, Diplomverwaltungswirtin, Medienwissenschaftlerin, Informatiker und Elektrotechniker (die klassischen Geisteswissenschaften sind in der Crew eher unterbesetzt) eine Geschichte zu erzählen über Halbwelt-Halodries, schlaftablettengezeichnete Hausfrauen und desillusionierte Bullen. Um dieses gewissermaßen biologische Manko zu kompensieren, sind die Akteure einen großen Teil ihrer Zeit damit beschäftigt, sich Zigaretten ins Gesicht zu klemmen, und flätzen breitbeinig an Halloooo-hier-spielt-das-wirkliche-Leben-Orten herum, also Billardschuppen, Kneipe, Popeldisko, Frittenbude.
Alle Inbilder des deutschen Krimis werden dabei zitiert: das Verhörduell, die Verfolgung in der U-Bahn, der in die Enge getriebene Verbrecher kurz vorm Abdrücken, die chipfressenden Bullen im Auto beim Observieren. Und dass das „Original“ dabei nicht selten verpasst wird, macht mal die Schwäche solcher Produktionen aus und mal den Charme. Die eigentliche Superleistung ist, überhaupt einen kompletten Spielfilm zu realisieren. Echte Triebtäterschaft eben statt Taubendasein. bk
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