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Das Geheimnis der ehelichen Pflichten

■ Die BremerInnen waren gar nicht so kunst- und bilderfeindlich, wie ihnen nachgesagt wird. Das Focke-Museum zeigt jetzt, dass das Bürgertum seit 1600 gerne für Portraits posierte und sich meist muffelig verewigen ließ

Im Bild der Giftmischerin Gesche Gottfried musste doch etwas zu finden sein. Die Zeitgenossen der 1831 auf dem Domshof öffentlich hingerichteten Giftmörderin suchten jedenfalls ganz eifrig. Nach etwas Bosheit, einer Prise Arglist und vor allem nach Mordlust. Doch die Gottfried lächelte nur freundlich. Man hätte von ihr glatt eine Tasse Tee angenommen. Und das auch noch, als sie in der Ostertorwache saß und von Rudolph Friedrich Carl Suhrlandt portraitiert wurde.

Die damals in großer Auflage auch auf dem Freimarkt verkaufte Lithographie ist jetzt wieder zu sehen. Denn Gesche Gottfried (1785-1831) gehörte zu den BremerInnen, die sich unfreiwillig oder freiwillig bildnerisch verewigen ließen. Ihr Bild landete neben vielen anderen Portraits in der Sammlung des Fo-cke-Museums. Zum hundertjährigen Bestehen des Hauses haben die Museumsleute die Portraits in den letzten Jahren wissenschaftlich bearbeitet und erstmals gezählt. Die beiden Portrait-Experten Alfred Löhr und Carsten Jöhnk fanden bei der Auswertung erheblich mehr Bilder als erwartet. Über 2.000 Zeichnungen, Gemälde, Drucke und Fotografien lagern in den Magazinen des Museums. Rund hundert von ihnen sind jetzt – neben den Portraits der ständigen Sammlung – in einer Sonderausstellung zum Teil zum ersten Mal zu sehen.

Nicht immer war die Zuordnung der Bilder so einfach wie bei der Gesche-Gottfried-Lithographie. Denn nachdem viele Bremer Familien die Portraits ihrer Ahnen dem Museum vermacht oder verkauft hatten, verschwanden mit der Zeit auch die Spuren zu den Dargestellten. Bei einem Familienbild mussten Löhr und Jöhnk buchstäblich mit der Lupe suchen. Auf einem winzig kleinen Brief steht die Ortsangabe Rio de Janeiro und ein Datum. Erst dadurch ließ sich rekonstruieren, dass es sich um die Familie Schünemann handelt.

Jetzt können die Schünemanns, Abeggs, Kulenkampffs und Paulis im Focke-Museum ihre Ur- und Ur-Ur-Großeltern bestaunen. Aber auch bei fehlender Verwandtschaft zum Bremer „Adel“ ist die Ausstellung unter dem Titel „Kunst und Bürgerglanz in Bremen – Portraits seit 1600“ sehenswert. Denn sie räumt mit Vorurteilen auf.

Ganz so bilder- und kunstfeindlich können die BremerInnen nämlich nicht gewesen sein. Denn am Ende des 16. Jahrhunderts wurde es auch im bürgerlichen Bremen Mode, für ein Bild Modell zu sitzen oder zu stehen. Zunächst schönten die meist auf Durchreise auch in der Hansestadt tätigen PortraitmalerInnen, wo sie nur konnten.

Und doch strotzen auch diese frühen Bilder vor Aussagekraft. Der erst vierjährige Melchior Holler zum Beispiel wurde mit allen Accessoires eines jungen Prinzen oder Fürsten dargestellt. Der Kaufmann Nicolaus Tilling und seine Frau Cunigunde erlauben sich sogar ein zaghaftes Händchenhalten. Aber ansonsten waren Emotionen damals verpönt. Ohnehin muss die calvinistische Strenge in Bremen ziemlich ätzend gewesen sein. Eine heutige Sehnsucht nach einem Leben in der Vergangenheit ist überhaupt nicht angebracht.

Erst nach und nach lockern sich die Sitten. Bei den Bildnissen aus dem 19. Jahrhundert traut man den Dargestellten sogar zu, auch mal gelacht zu haben. Zärtlichkeiten dagegen weniger. Und Sex gar nicht. Denn wie die Kaufmannsfamilien zu ihren fünf oder sogar sieben Kindern kamen, bleibt nach Ansicht der meisten Portraits ein Geheimnis. Beziehungsweise es wird einem klar, woher der Begriff „eheliche Pflichten“ stammt. Andererseits ist es ein Vergnügen, sich an die Hetze gegen Langhaarige in den 1960er und 1970er Jahren zu erinnern und im Focke-Museum die sittenstrengsten Calvinisten mit John-Lord-Mähne sitzen zu sehen.

Obwohl bei den neueren Bildern manchmal so etwas wie Heiterkeit zu entdecken ist, bleiben die BremerInnen stockkonservativ. Denn die PortraitmalerInnen wie Amalie Murtfeld oder auch der berühmte Max Slevogt kennen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die neuen künstlerischen Strömungen in Europa. Doch wenn sie für Bremer AuftraggeberInnen tätig werden, sind impressionistische Einflüsse nahezu tabu. Paula Modersohn-Becker ist mit ihrem schon expressionistischen Doppelportrait von Lee Hoetger und Clara Haken für Bremer Verhältnisse die Spitze der Avantgarde.

Das neueste Bild der Ausstellung datiert 1934. Trotz der im 19. Jahrhundert rasant verbreiteten Fotografie hat die Portraitmalerei in einer Nische bis heute überlebt. Und dies nicht nur in den Fußgängerzonen. Aber nach Auffassung Jörn Christiansens, dem Leiter des Focke-Museums, spielt sie höchstens noch kultur- und sozialgeschichtlich eine Rolle, aber nicht mehr in der Kunst. Das ist ein kühne Aussage, wo doch heute eine Gattung nach der anderen wiederentdeckt wird. Christoph Köster

Die Schau „Kunst und Bürgerglanz in Bremen – Portraits seit 1600“ ist Teil eines Ausstellungsprojekts. Eröffnung: Sonntag, 11. Juni, 11.30 Uhr. Festakt und Fest zum 100-jährigen Geburtstag des Focke-Museums am Samstag, 10. Juni, um 18 Uhr im Museum, Schwachhauser Heerstr. 240. Ausstellungsdauer: bis 1. Oktober. Katalog, der auch die demnächst vorgestellten drei weiteren Ausstellungen beinhaltet: 49 Mark

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