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Reclaim the streets!

Eine der neueren Protestformen ist das Konzept von der illegalen Aneignung des öffentlichen Raums. Ein bisschen wie die Love Parade, nur eben antikapitalistisch

taz: Wofür steht „reclaim the streets“ (rts)?

Klaus: Eine direkte Aktion. Die Idee, sich selber einzubringen in eine Form, die frei läuft, ohne dass man eine Demonstration anmeldet. Das Motto ist die bewusst illegale Aneignung von öffentlichem Raum. Eine nicht militante Straßenblockade.

Olli: Vor drei Jahren, als rts hier angefangen hat, gab es eine große Debatte um die Privatisierung des öffentlichen Raums. Rts ist ein Versuch dagegen anzugehen. Die Straße ist in erster Linie für die Menschen da. Wir möchten uns diesen Freiraum nehmen, wenn auch nur für drei Stunden, um da eine Party zu feiern.

Das klingt nach Love Parade.

Klaus: Die Vorgehensweise ist anders, antikapitalistisch. Das Motto in Berlin war immer „Selber machen statt Konsum“.

Im Internet wird rts als „Desorganisation“ bezeichnet. Aktuell funktioniert Politik eher über Personen. Warum verzichtet ihr darauf?

Klaus: Übe Selbstverantwortung! Da brauche ich keinen Herrscher, Führer, Personenkult.

Olli: Die meisten Leute, die sich bei rts involvieren, waren vorher schon aktiv, zum Großteil in der „klassischen Politszene“. Sie waren mit den dortigen Hierarchien aber unzufrieden.

Wie wichtig ist die Verständlichkeit nach außen? Bei einer klassischen Demo gibt es Transparente, Flugblätter, Redebeiträge, Parolen. Dennoch bleibt Außenstehenden das Thema häufig unverständlich. Bei Euch gibt es noch weniger: Musik und Leute, die tanzen.

Olli: Unsere Aktionsform ist noch neu und daher vielleicht unverständlich. Aber wir mobilisieren bereits im Vorfeld über Flugblätter und Soli-Partys. Zumindest in der Polit- und Party-Szene haben wir einen relativ hohen Bekanntheitsgrad.

Aber darüber hinaus setzt das Konzept Grenzen.

Olli: Da knabbern wir auch dran.

Das rts-Thesenpapier im Internet beschreibt detalliert die Form: Der eine macht den DJ, die nächste verteilt Flyer, der dritte sucht den Ort aus. Über politische Inhalte steht dort nichts.

Olli: Hm, ja. Das ist ein Problem. Rts gibt einen Rahmen vor, der erst noch mit Inhalten gefüllt werden muss. So gab es zur Bundestagswahl das Motto „Widerstand hat keine Wahl“. Für das letzte Juli-Wochende ist eine Aktion gegen die Fahrpreiserhöhung bei den Berliner Verkehrsbetrieben geplant.

Der Soziologe Pierre Bourdieu will Initiativen, die gegen Neoliberalismus arbeiten, zusammenführen.

Klaus: Das möchten wir auch (lacht). Gerade in der automonen Szene in Berlin gibt es leider viele Gruppen, die sich untereinander abgrenzen, obwohl sie eigentlich im selben Boot sitzen.

Wie nehmen andere Gruppen euer Konzept auf?

Olli: Schwierig. Gerade bei gut organisierten Gruppen gibt es Konfrontation. Die kommen mit dem, was wir Desorganisation nennen, dass wir keine klaren Statements nennen, nicht klar. Und für Gruppen, die sonst legalistisch arbeiten, kann es problematisch sein, dass wir offensiv sagen, wir melden unsere Veranstaltung nicht an. Aber die könnten ja auch zu Aktionen im Umfeld aufrufen.

INTERVIEW: GEREON ASMUTH

Klaus (32) und Olli (25) bezeichnen sich selbst als „Mitmacher“ bei reclaim the streets. Weitere Infos im Internet unter http://rts.squat.net

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