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Macht. Oder Ohnmacht.

■ Bringt sie den Eltern die langersehnte Freitheit bei der Platzwahl oder drängt sie Kinder von den Ganztagsplätzen? Die Kita-Card Strukturreform ist hoch umstritten. Im taz-Gespräch streiten die GAL-Politikerin Sonja Deuter und der Familien Power-Vorsitzende Matthias Taube

taz: Stimmt es, dass die Kita-Card ursprünglich eine Idee der GAL war?

Sonja Deuter: Die Kita-Card selbst nicht, das Betreuungsschecksystem ja. Ich finde den Ausdruck Kita-Card übrigens nicht gut. Das impliziert, dass es sich um eine Chipkarte handelt, die Daten speichert, und das macht Angst. Ich spreche lieber von der Strukturreform Kita 2000.

Welche Vorteile bringt Kita 2000?

Deuter: Künftig wird sich das Kita-Angebot an den Wünschen und Bedürfnissen von Eltern und Kindern orientieren und nicht starr vom Behördenschreibtisch aus geplant. Und es erarbeiten erstmals Bürgerschaft, Behörde und Träger gemeinsam Qualitätsmerkmale, die allen Einrichtungen Pädagogik- und Bildungsstandarts sichern.

Sieht Familien Power das auch so?

Matthias Taube: Natürlich nicht. Wir befürchten, dass das geplante System die Betreuungszeiten stark ausdünnt und damit pädagogisches Arbeiten in Gruppen einschränkt. Das macht Eltern Angst. Es gibt Elemente am Kita 2000-Paket, die wir begrüßen, zum Beispiel ein verbessertes Datensys-tem, das die Platzverteilung in den Bezirken optimiert. Aber wir sagen: Schüttet das Kind nicht mit dem Bade aus. Das alte System der Angebotsplanung wird von der Rot-Grünen Politik schlecht geredet. Es war bisher schon so, dass sich die Masse der Eltern, circa 80 Prozent, einen Kita-Platz ihrer Wahl suchte und bewilligt bekam. Da ändert sich für die Eltern nicht viel. Nur, es verschlechtert sich für die Bedürftigen. Für die alleinerziehende Mutter, zum Beispiel, deren Bedarf nach einem Kita-Platz bisher oberste Priorität hatte. Die hat es künftig schwer mit halb soviel Zeit und Energie, wie ein Elternpaar sie hat, auf dem freien Markt einen Platz zu ergattern.

Deuter: Das ist falsch. Wir haben in der Bürgerschaft Kriterien verabschiedet, wer einen Platz bewilligt bekommt: Elternpaare, die beide berufstätig sind, berufstätige Alleinerziehende, Berufssuchende, Eltern in Ausbildung, Eltern im Studium und das Wohl des Kindes. Da sind Alleinerziehende also mit drin.

Taube: Alles wie gehabt, nur schlechter. Sie wollen keine Plätze mehr bewilligen, sondern nur das Recht auf die Platzsuche. Und da hat die Alleinerziehende schlechte Karten.

Deuter: Nein, wir wollen gerade, dass dem Bedarf entsprechend Plätze angeboten werden und es nicht nur einen Scheinplatz auf der Warteliste gibt.

Es soll ja künftig zwei Budgets geben. Einen für Plätze, auf die es einen Quasi-Rechtsanspruch gibt, und den zweiten für Plätze, die nach Ermessen vergeben werden. Wofür gelten Ihre Kriterien?

Deuter: Die Kriterien, die ich genannt habe, gelten alle für das Teilbudget 1.

Also steht die Alleinerziehende bei den Rechtsanspruchsfällen ganz obenan?

Deuter: Es gibt keine Hierarchie dieser Kriterien.

Taube: Zum Glück gibt es bis jetzt noch eine Wertung. Sie sollte bleiben.

Aber eine Alleinerziehende, die nicht arbeitet, bekommt den Ganztagsplatz?

Deuter: Die alleinerziehende Arbeitssuchende ja, weil Arbeitssuche ein Kriterium ist.

Wie lange hat sie Zeit dazu?

Deuter: Das ist nicht begrenzt.

Verlieren Mütter, die arbeitslos oder schwanger werden, den Kita-Platz?

Deuter: Die Platzbewilligung bleibt ein Jahr gültig. Wenn sie anschließend arbeitssuchend sind, auch weiterhin.

Im Amt für Jugend spricht man von kürzeren Zeiträumen.

Deuter: Letztlich bestimmt darüber die Bürgerschaft. Ich würde gern auf Herrn Taube eingehen. Es ist falsch, dass Eltern bisher schon den Platz suchen konnten, den sie wollten. Wenn Eltern im Schanzenviertel einen Kita-Platz wollten, haben sie den nicht bekommen. Weil dieses Viertel teilweise zu Eimsbüttel zählte und Eimsbüttel formal einen Versorgungsüberhang hatte. Da konnte keine neue Kindergruppe aufgemacht werden. Das wird es in Zukunft mit dem nachfrageorientierten Modell nicht mehr geben. Eltern können ihre Kinder dort unterbringen, wo sie es möchten.

Taube: Die von ihnen propagierte Nachfragemacht der Eltern wird sehr schnell in einer Nachfrage-Ohnmacht enden. Wer garantiert denn den Eltern, dass sie den Platz, den sie brauchen, auch wirklich finden. Wer hilft ihnen dabei? Noch dazu in einer Zeit, wo Hamburg die Kitas in die Unflexibilität gespart hat. Es wurden 15 Prozent Personal eingespart. Das ist nicht wegzudiskutieren. Und nun führen sie ein neues System ein, das ein großes Banner vor sich herträgt: Flexibilität. Nur können die Kitas dies nicht leisten.

Deuter: Die Haushaltskonsolidierung wurde von der rot-grauen Vorgängerregierung beschlossen. Die haben damals das Jugendressort aus den Sparmaßnahmen ausgenommen und verfügt, dass es in dieser Legislaturperiode gleichrangig belastet wird. Wir haben durchgesetzt, dass die Sparquote auch diesmal prozentual ganz weit unten lag. Und – das ist der Clou – wir haben durchgesetzt, dass jede freiwerdende Mark wieder in die Kinderbetreuung zurückfließt. Das hat es noch nie gegeben. Jede Mark, die durch einen nicht ausgenutzten Ganztagsplatz frei wird, muss in die Aufstockung von Vierstunden- auf Sechsstunden-Plätze investiert werden, und zwar je nach dem, was die Nachfrage ergibt. Ich finde Vierstunden-Plätze hirnrissig. Die bringen nicht mal einer Teilzeitbeschäftigten was.

Sie meinen, sie haben hier einen Globalhaushalt eingeführt?

Deuter: Ja. Wir haben erstmals die Möglichkeit, das Geld innerhalb der Kindertagesbetreuung umzuverteilen.

Taube: So ein Globalhaushalt, das sieht man an der Uni, birgt Risiken, weil er nach oben hin gedeckelt ist.

Deuter: Wie jeder Haushalt.

Taube: Wir sehen die Gefahr, dass die Nachfrage nach den künftigen Rechtsanspruchsfällen sehr groß sein wird, und dass dann der Etat für die sogenannten Ermessensfälle für die Kinder, die aus sozialen und pädagogischen Gründen in Kitas sind, geschröpft wird.

Deuter: Das ist falsch. Wenn die Nachfrageorientierung einen höheren Bedarf ermittelt, muss der Haushalt dementsprechend eingestellt werden. Das wurde sowohl von mir als auch von den Jugendpolitikern der SPD in mehreren Ausschüssen gesagt und auch von der ehemaligen Senatorin gehört.

Sehen ihre Nachfolger das auch so?

Deuter: Eine neu zusammengesetzte Regierung kann alles wieder rückgängig machen. Deshalb muss die Gesetzesinitiative bis Ende 2001 unter Dach und Fach sein. Aber ich will noch etwas Zweites anführen: Bis zum Jahr 2005 werden die Geburten zurückgehen und danach auch wieder steigen, aber dazwischen haben wir einen Spielraum.

Taube: Die Demografie sagt gar nichts. Wir haben jetzt schon eine Korrektur der Bevölkerungsprognose, die so dramatisch ist, dass das Amt für Jugend daran zweifelt, ob man das nachfrageorientierte Modell überhaupt einsetzen kann. Denn die Kita-Card ist nur möglich in einem schrumpfenden Markt. Sobald man ein Ausbauprogramm fahren muss, kommen sie mit der Kita-Card in die Hölle. Wir sind hier in einem hochsubventionierten Sektor, da muss der Staat die Kontrolle haben über die Platzstrukturierung. Das ist einfach seine Aufgabe. Wenn sie ein Neubaugebiet haben, dann muss der Staat dort eine Kita einrichten und einen Träger aussuchen, der das Haus bespielt.

Zieht sich die Stadt aus der Verantwortung?

Deuter: Nein. Ein zentrales Controlling wird es natürlich weiterhin geben. Und wir haben im Vorwege die stadtteilorientierte Familienhilfe initiiert. Die Eltern werden nicht allein gelassen, sondern können sich dort beraten lassen. In diesen Zentren, von denen als Pilotprojekt in jedem Bezirk eines bereits existiert, werden wir bündeln, welche Bedarfe es für welches Quartier gibt.

Taube: Sie müssen die Bezirke stärken. Das müssen die Profis in den Bezirken machen. Die Familien können nicht darauf warten, dass Sie in zehn, 15 Jahren Ihre Stadtteilvernetzung fertig haben.

Deuter: Die stadtteilorientierte Familienhilfe funktioniert jetzt schon.

Die Bedarfsorientierung bringt auch Nachteile. Mancher, der bisher einen Achtstunden-Platz hatte, wird künftig nur noch sechs bekommen. Warum wird dies nicht wie bisher lockerer geregelt?

Deuter: Es war lockerer geregelt zum Beispiel auf Kosten von alleinerziehenden Müttern, die nicht arbeiten konnten, weil sie keinen Platz bekamen. Gehen Sie mal zur Tagespflegebörse Altona, da ist ein ganzer Schrank voller solcher Fälle.

Taube: Die wird es auch künftig geben, weil es zu wenig Geld gibt.

Deuter: Es wird mit Sicherheit einige Eltern treffen, die nur noch vier odersechs Stunden kriegen und sonst acht Stunden bekommen hätten. Aber dafür bekommt zugleich eine Familie, die es dringend braucht, einen Ganztagsplatz.

Taube: Frau Deuter, da sind sie unehrlich. Die Rückführung von 5000 Ganztagsplätzen auf Sechsstunden-Plätze ist Teil der Sparmaßnahmen.

Deuter: Das ist was ganz anderes.

Taube: Das ist aber die Wahrheit. Und wir erleben derzeit, dass restriktiv in den Bezirken geprüft wird, ob eine Familie mit sechs Stunden auskommt, die vorher acht hatte. Da geht es nur noch um die Aufbewahrung der Kinder und nicht mehr um die Pädagogik.

Deuter: Ich will das mal klarstellen. Die Konsolidierung betraf jeden siebten Platz und die wäre so oder so gekommen. Nun meldet aber bei diversen Umfragen jede vierte Familie, die einen Ganztagsplatz belegt, Bedarf für einen Sechsstunden-Platz an. Da gibt es also Spielraum, und der muß so flexibel genutzt werden, dass jedes Jahr der Bedarf im Quartier neu entscheidet.

Wenn sie Plätze von acht auf sechs Stunden umwandeln, müssen Erzieher ihre Arbeitszeit von 40 auf 30 Wochenstunden reduzieren. Und das in einem schlecht bezahlten Beruf.

Deuter: Einer der schlechtbezahltesten.

Wenn sie stets flexibel umverteilen, brauchen sie geduldige Mitarbeiter.

Deuter: Sie malen nur schwarz-weiß. Eine kleine Einrichtung muss ihren Erziehern nicht kündigen, aber möglicherweise die Öffnungszeiten ändern. Mir haben viele Freiberufler in einer Studie, die ich 1996 für die Wirtschaftsbehörde erstellt habe, gesagt, sie finden es schlecht, dass sie ihre Kinder bis 9 Uhr in die Kita bringen müssen, obwohl sie bis 17 Uhr arbeiten. Wir möchten gern in Ruhe mit den Kindern frühstücken und sie erst um 10 oder um 11 Uhr für sechs Stunden bringen.

Taube: Wenn diese Kinder in die Schule kommen, können ihre Eltern sie nicht erst um 11 Uhr bringen.

Deuter: Aber bis dahin haben Eltern diese Zeit mit ihren Kindern gehabt.

Taube: Wir gehen davon aus, und Sie ja auch, dass Kitas Bildungseinrichtungen sind. Und dieses Programm muss auch irgendwann beginnen. Nicht erst um 11 Uhr, kurz vor Mittag.

Deuter: Eltern sind doch nicht alle doof und Kinder werden nur gebildet, wenn sie in der Einrichtung sind.

Taube: Es geht um das Wohl des Kindes. Um die Qualität zu gewährleisten haben sich Kernbetreuungszeiten zwischen 8 und 16 Uhr herausgebildet.

Deuter: Weil die Einrichtungen es wollen.

Taube: Nein. Weil es für eine gute pädagogische Arbeit sinnvoll ist. Wir wollen deshalb in Hamburg ein Kita-Gesetz einfordern, das derartige qualitative Standards sichert. Und wir wollen eine gesetzliche Elternmitwirkung, die dafür sorgt, dass diese Standards eingehalten werden.

Deuter: Wir sehen einen Regelungsbedarf auf bundesweiter Ebene. Denn der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ist an den Paragraph 218 gekoppelt und bezieht sich leider nur auf einen Vierstunden-Platz und auch nur für Drei- bis Sechsjährige. Ich möchte einen Rechtsanspruch auf mindestens Sechsstunden für auch für Jüngere und Ältere.

Taube: Nein, Frau Deuter, wir sind realistischer und sehen Handlungsbedarf zunächst einmal für Hamburg. Auf Bundesebene haben wir bereits das vorbildliche Kinderjugendhilfegesetz als Rahmen. Aber Hamburg ist das einzige Bundesland ohne Kita-Gesetz. Das muss sich ändern. Moderation: Kaija Kutter

Fotos: Markus Scholz

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