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Ein Milliardenbau als Imagefaktor

Heute wird das Sony Center am Potsdamer Platz offiziell eröffnet. Mit derartigen Stadtplanungsprojekten sichert sich der Medien- und Elektronik-Konzern den Zugang zum Kunden. Die Ware wird als Ereignis präsentiert. Verkauft wird später

von FRANK ROOST

Mit großem Brimborium wird heute das Sony Center am Potsdamer Platz eingeweiht. Das Herzstück, der von Bürogebäuden und Unterhaltungseinrichtungen eingefasste Innenhof, ist aber schon seit Januar zugänglich. Den Kopf in den Nacken gelegt bestaunen Besucher die Dachkonstruktion des Architekten Helmut Jahn.

Doch wenn die erste Bewunderung der bautechnischen Leistung verflogen ist, fragen sich nicht wenige, welchem Zweck der großzügige Innenhof eigentlich dienen soll. Eine eindeutige kommerzielle Nutzung, wie in DaimlerChryslers Shopping Mall nebenan, ist auf den ersten Blick nicht erkennbar. Anders als die meisten privaten Investoren, die in der Hoffnung auf einen Hauptstadtboom in Berlins Zentrum gebaut haben, hat Sony weder eines der standardisierten Bürogebäude noch eine Einkaufspassage gebaut. Stattdessen wird, wenn heute Sony-Chef Norio Ohga die Berliner Philharmoniker vor 2.500 handverlesenen Gästen dirigiert, das bisher größte Corporate-Image-Center der Bundesrepublik eingeweiht.

Dieser in Europa noch seltene, aber in den USA und Japan bereits weit verbreitete Bautyp ist nur sekundär darauf ausgerichtet, als Gewerbeimmobilie direkte Gewinne abzuwerfen. Hauptsächlich sollen solche von Konsumgüterkonzernen gebauten Komplexe Besucher anlocken, unterhalten und in Erstaunen versetzen.

Repräsentative Vorführräume, wie die Salons der Automobilfirmen, gibt es zwar schon seit Jahrzehnten. Doch angesichts des stark wachsenden Städtetourimus präsentieren die Konzerne ihre Waren gerne an ausgewählten Orten, wie im Coca-Cola-Museum in Las Vegas oder in den mehrstöckigen Niketown-Sporthäusern in New York und Berlin. Da in der Fun- und Freizeitgesellschaft der Erlebniswert eines Produkts an Bedeutung gewinnt, liefern die Marketingexperten den emotionalen Kick gleich mit. So mutieren biedere Schauräume zu Unterhaltungszonen, in denen das Betrachten der Ware zum Ereignis und der Konsum zum Lifestyle geadelt werden.

Sony hat große Erfahrung mit solchen Marketingstrategien. Bereits seit den Sechzigerjahren betreibt der Konzern in einer der teuersten Immobilienlagen der Welt, der Ginza in Tokio, ein Gebäude, in dem auf acht Stockwerken ausschließlich Sony-Produkte präsentiert werden. In der Sony Wonder World an der New Yorker Madison Avenue können seit den Achtzigerjahren vor allem Kinder die Welt der Unterhaltungselektronik und besonders die Produktserie „My first Sony“ kennen lernen.

Auch für Sonys Vorstoß in den Mediensektor spielte der amerikanische Markt eine Schlüsselrolle. Seit der Übernahme des Hollywood-Studios Columbia Pictures und der weltgrößten Musikfirma CBS Records vor zehn Jahren ist der japanische Konzern auch noch einer der größten Medienkonzerne der Welt. Als Anbieter von Hardware und Software kann das Unternehmen neue technische Standards in der Konsumelektronik schaffen und dann durch die Bereitstellung von Ton- und Bildträgern im neuen Format auch am Markt durchsetzen.

In seiner Mediensparte verfolgt Sony wie die anderen großen Entertainmentkonzerne das Ziel, in alle miteinander verwandten Bereiche der Branche zu diversifizieren. So können Firmen einen Vermarktungszyklus schaffen, bei dem sich die einzelnen Produkte – als Buch zur Fernsehserie, Soundtrack zum Kinofilm etc. – gegenseitig bewerben. Derart miteinander verknüpft, ergeben die Medienprodukte eine einträgliche, nimmer endende Konsumkette.

In diesen Vermarktungszyklus ist mittlerweile auch der Bau und Betrieb von Unterhaltungszentren integriert, die dann als Location-based Entertainment bezeichnet werden. In den USA bildet der boomende Markt innerstädtischer Freizeitzentren bereits den am stärksten wachsenden ökonomischen Sektor der ansonsten von Abwanderung und Armut geprägten Kernstädte. Sony ist an diesem Geschäft beteiligt, vor allem mit seinen Multiplex-Kinozentren. Der japanische Konzern betreibt die größte Kinokette der Welt. In San Francisco wurde zudem ein High-Tech-Erlebnis-Center gebaut, das mit seiner Kombination aus Kinos, Spielzonen für Kinder, Elektronik-Showrooms und Computerspielhallen Einheimische und Touristen anziehen soll. Ein ähnliches Projekt wurde in Tokio realisiert. Als bisher größtes Stadterneuerungsvorhaben Japans entsteht in einem Aufschüttungsgelände zwischen Hafen und Stadtzentrum derzeit ein neues Stadtquartier. Dessen zentralen Bereich bildet das Sony-Vergnügungszentrum Aqua City.

Sonys Projekt am Potsdamer Platz ist noch umfassender. Denn hier ist ein klassisches Bürobauprojekt mit Entertainment- und Showroom-Elementen kombiniert und zu einem riesigen Corporate-Image-Center verschmolzen worden. Damit sich der anderthalb Milliarden Mark teure Repräsentationsbau lohnt, wird ein Großteil der Büroflächen untervermietet. Sony selbst bleibt aber mit seiner Europazentrale Hauptmieter und Namensgeber des Komplexes. Besucher können sich in einem Music Box genannten Entertainment Center vergnügen oder in einem vierstöckigen Sony Style Store die neuesten Produkte des Konzerns bestaunen. In dem aufwendig gestalteten Laden wird zwar nicht viel verkauft, aber das edle Ambiente, die freundliche Beratung und die Möglichkeit, nach Lust und Laune die Geräte auszuprobieren, wirken langfristig. Gewinne erzielt Sony später, wenn die Kunden im Kaufhaus stehen und sich für ein Produkt des japanischen Konzerns entscheiden.

Neben dem Sony Style Store steht das Filmhaus, in dem sich die Deutsche Film- und Fernsehakademie sowie diverse Medienarchive befinden. Mit solchen Institutionen als Mieter und als Gastgeber der Berliner Filmfestspiele bereitet sich Sony auf den Vorstoß in den deutschen Film- und Fernsehmarkt vor. Denn Sonys Medienabteilung engagiert sich zunehmend in Schlüsselmärkten mit Produktionen in der jeweiligen Landessprache. Teil dieser Strategie der „Local Globalization“ ist Sonys Engagement im Studio Babelsberg, von dem aus der deutsche Markt bedient werden soll.

Auch für den Vertrieb von Kinofilmen soll der Potsdamer Platz eine Modellfunktion bekommen. Als führender Produzent von Kinotechnik plant Sony, weltweit das herkömmliche Abspielen von Filmrollen durch eine satellitengestützte Übertragung zu ersetzen. Im Multiplex-Kino im Untergeschoss des Centers soll diese neue Technologie erprobt werden.

Ein ähnlich weitgehender technologischer Wandel ist angesichts der Möglichkeiten, die das Internet bietet, für den gesamten Bereich der Unterhaltungselektronik zu erwarten. Sicher ist aber bisher nur, dass Kommunikations-, Audio- und Videogeräte auf der Basis digitaler Datenübertragung miteinander kompatibel werden und zu multifunktionalen Geräten verschmelzen. Über die technischen Details ist derzeit ein heftiger Wettbewerb im Gange. Sobald sich ein technischer Standard durchgesetzt hat, winken dem siegreichen Unternehmen gigantische Gewinne in der Art, wie sie heute Microsoft mit seinem Quasi-Monopol einstreicht.

Auf diesen Wettbewerb ist Sony gut vorbereitet. Walkman-Geräte oder Videokameras wurden auf Digitaltechnik umgerüstet. Und die Computerproduktion, die der Konzern wegen geringer Profitmargen bereits eingestellt hatte, wurde wieder aufgenommen. Auch Sonys derzeit meist verkauftes Produkt, die Videospielkonsole Play Station, bekommt einen Internetanschluss, sodass es in PC-losen Haushalten zum wichtigsten Kommunikationsgerät werden kann.

Da sich viele Konsumenten mit den Details der neuen Technologien nicht auskennen, wird das Vertrauen der Kunden in den jeweiligen Anbieter maßgeblich darüber entscheiden, welcher Standard sich am Markt durchsetzen kann. Mit dem weltweit bekanntesten Markennamen in der Unterhaltungselektronik hat Sony die besten Chancen. Dabei werden die Corporate-Image- Centers rund um den Globus helfen, eine günstige Ausgangsposition auf den drei Schlüsselmärkten USA, Japan und Deutschland zu sichern und in dieser wichtigen Phase das Markenimage noch weiter zu verbessern.

Für das japanische Unternehmen ist darum das Staunen der Besucher im Innenhof des Sony Centers bereits ein erster Erfolg. Schon auf diese Weise prägen sich bei den potenziellen Kunden der Markenname und das High-Tech-Image des Konzerns wieder ein bisschen mehr ein. Dies gilt erst recht für diejenigen, die sich auch noch in den Showroom oder den Entertainment-Bereich locken lassen, denn bei Ihnen ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie treue Kunden werden, besonders hoch. Für Sony ist deshalb das Gebäude am Potsdamer Platz vor allem eins: noch ein Trumpf mehr im Milliardenpoker um die Standards der multimedialen Kommunikation der Zukunft.

Autorenhinweis:Frank Roost ist Stadtplaner und lehrt Architektursoziologie an der TU Berlin

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