piwik no script img

Klauen, Hufe, Zysten und Mao

Wahre Lokale (24): Landmänner und Idealisten im „Opix“ oder „Apex“ in Göttingen

Es war Anfang der Siebzigerjahre im niedersächsischen Göttingen, einem verträumten, vom Mettwurstanbau geprägten Ackerbürgerstädtchen, da beschlossen junge Idealisten, die ihren Mao gelesen hatten, Bauern und Intellektuelle zusammenzuführen, und das ganz praktisch: Sie gründeten eine Kneipe, nannten sie aus irgendwelchen, heute verloren gegangenen Gründen OPIX, und tatsächlich: Die Bauern kamen. Und blieben bis heute.

Das Konzept stimmte von Anfang an. Es gab nichts als Flaschenbier und krumpelige Erdäpfel; die Bauern fühlten sich zu Hause. Sie rückten auf Ochsen und mit Leiterwagen an, sie kamen in matschbedeckten Stulpenstiefeln gleich von der Feldarbeit und in verschmierten Hosen direkt aus dem Schweinekoben, manche brachten ihre Sau vom Besamer oder ein Kälbchen auf dem Weg zum Metzger mit.

Anfangs kam es wohl vor, dass die Landmänner in die Speisekarte schneuzten und auf den Tisch spuckten, weil sie ihre Hände verfehlten, ja dass sie die Placken Klumpatsch, die von der Joppe auf den Teller abbröckelten, einfach mitaßen. Aus jener goldenen Zeit stammen die zwei Originale des OPIX, Heiner Eickemeier und Fritze Brinkmann, die noch heute „hoch auffen gelben Trecker“ direktemang bis an den Tresen knöttern, ein „Hier, höre zu!“ den anderen Göttinger Schorsen zugrunzen und ihnen Schwänke „ausse“ Vergangenheit vordreschen.

Seit bald dreißig Jahren hocken inzwischen die Göttinger Krampen und Landwürste in ihren kartoffelförmigen Leibern im OPIX und klammern sich mit knolligen Füßen an den Barhockern fest. Sie dünsten den Geruch feuchter Regenwürmer aus und packen die Bierflaschen mit klobigen Händen oder, Folge eines elterlichen Seitensprungs, mit ihren Klauen oder Hufen. Zysten werden als zusätzliche Gliedmaßen benutzt. Geschwülste dienen ihnen ebenso wie ihre Karbunkel als Fettpolster und federn den Sturz beim Aufstehen ab.

Doch längst bevölkern nicht nur Landwirte das Lokal. Der Ruhm der Bauernschänke hat sich herumgesprochen und lockt Gäste von weither, sogar aus der fernen Vergangenheit an. Der treue Gewährsmann Fritz Weigle, der eigens von Frankfurt nach Göttingen zog, um den Weg in seine Stammkneipe zu verkürzen, hat in den zwölf Jahren, die er in dem Landstädtchen blieb, sie gesehen und im Bild festgehalten: Herrn Dürer und den dicklichen Reformator Luther, Herrn Freud und Genossen Lenin, den Zahlenkomiker Gauss und sogar den einen oder anderen Landsknecht. Hier kommen sie miteinander ins Gespräch, ganz so, wie es die Gründer der Kneipe beabsichtigt hatten, als sie die Bauern und ihre maoistischen Anbeter, die Intellektuellen, zusammenbringen wollten.

Ja, so könnte es sein – wenn nicht in Wirklichkeit alles ganz anders wäre. Beweisen doch schon Zeichnungen von Fritz Weigle als F.W. Bernstein, dass das Ding gar nicht OPIX heißt. OPIX – was soll das auch bedeuten? In Wahrheit heißt die Kneipe natürlich APEX, und dem Autor möge man die Namensänderung aufgrund seiner anfänglichen Angst vor lebenslangem Lokalverbot verzeihen. Was APEX bedeutet, weiß zwar auch niemand mehr, aber mit diesem Namen befinden wir uns nun in der Realität.

So viel sich vom OPIX fabulieren lässt, so wenig kann man eigentlich übers APEX sagen. Das nämlich ist das Schöne am APEX: Es ist nichts Besonderes, nichts Auffälliges, nichts Modisches. Schlichtheit prägt die Räume, obschon die legendäre Kargheit von einfachsten Holztischen und -stühlen samt Flaschenbier nach dreißig fetten Jahren passé ist. Dass das APEX als Theke einer – bis heute bestehenden – Kunstgalerie begann, seine Betreiber selbst es leider „als verbindenden Kommunikationsraum“ für „Kulturinteressierte“ definieren und der Kneipenbesuch bei Anfängern im Ruf einer intellektuellen Bewährungsprobe steht – das schreckt immer weniger Leute ab, weshalb das einstige Einzimmerlokal APEX, in dem nicht viel mehr als ein Tresen Platz hatte, sich in den letzten Jahren immer weiterer Nachbarräume bemächtigt hat und irgendwann vielleicht die ganze Altstadt einnehmen wird. Was nicht das Schlimmste wäre, was Göttingen zustoßen kann. PETER KÖHLER

Hinweis:Es gab nichts als Flaschenbier und krumpelige Erdäpfel; die Bauern fühlten sich zu Hause

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen