: Israels Koalition steht vor dem Aus
Die orthodoxe Schas-Partei kündigt den Rückzug aus der Regierung an. Dann muss Ministerpräsident Barak eine Minderheitsregierung bilden – oder aber es gibt Neuwahlen. Letzteres würde den Friedensprozess weiter verzögern
aus Jerusalem SUSANNE KNAUL
Die zweitgrößte israelische Koalitionspartei Schas hat gestern ihren Rückzug aus der Regierung angekündigt. Die Kündigungsschreiben der Minister und Vizeminister sollen in der kommenden Kabinettssitzung, vermutlich am nächsten Sonntag, eingereicht werden. Schas-Parteichef Eli Ischai erklärte, dass die Entscheidung endgültig sei und „sämtliche Verhandlungen eingestellt wurden“. Politische Beobachter halten indes eine Wiederaufnahme der Verhandlungen für denkbar.
Beschlossen wurde der Austritt der Koalitionspartei nicht von den Ministern, sondern vom Rat der Religionsweisen, wie es bei der orientalisch-orthodoxen Schas üblich ist. Als Grund wird zum einen die wiederholte Verzögerung einer Lösung für das Finanzierungsproblem des Partei-nahen Erziehungssystems genannt sowie die Nichtmiteinbeziehung der Schas-Minister in die Friedensverhandlungen.
Der Einberufung des Rates der Religionsweisen war ein Treffen zwischen Ministerpräsident Ehud Barak und Eli Ischai vorausgegangen, in dessen Verlauf Barak seinem Gesprächspartner die Verpflichtung abforderte, sich künftig loyal der Regierung gegenüber zu verhalten. Dabei geht es vor allem um den Gesetzentwurf zur Auflösung der Knesset (Parlament), den die Schas vergangene Woche in einem Vorabvotum unterstützt hatte. Ischai lehnte eine solche Verpflichtung ab.
Eine „faire Lösung für die Kinder in Israel“ strebten die Schas-Politiker an. Um das zu erreichen, hätte das Erziehungsministerium eine Summe von mehreren zig Millionen Schekel in die Kasse der Schas-Schulen überweisen müssen. Ein Kompromissvorschlag sah etwa die Hälfte der Summe vor.
Problematisch für das Erziehungsministerium war die Finanzierungsforderung vor allem deshalb, weil die Schas das an weltlichen Schulen übliche Zahlenverhältnis zwischen Lehrer und Schülern deutlich überbot. Die Schas-Klassen sind kleiner und bieten in der Regel mehr Stunden als die weltlichen. Neben der Finanzierung ihrer Erziehungseinrichtungen forderte die Schas zudem die Legalisierung einer Reihe von religiösen und zum Teil nationalistischen Piratensendern. Barak signalisierte auch in dieser Frage grundsätzliche Kompromissbereitschaft.
Die Verhandlungen scheiterten, so scheint es, vor allem an dem Zeitplan für die Vereinbarungen. Während die Schas eine sofortige Entscheidung über die Piratensender forderte, strebte Barak eine Verzögerung an – zumindest bis nach der ersten Lesung über das Gesetz zur Knessetauflösung.
Seit dem Amtsantritt der Regierung vor einem Jahr war das Misstrauen zwischen beiden Parteien gewachsen. Das lag zum einen an der Hinhaltetaktik Baraks, zum anderen an der Tatsache, dass Schas-Abgeordnete im Parlament gegen die Regierung stimmten.
Barak hat die Möglichkeit, seine Koalition ohne die Schas fortzusetzen, wobei zwei weitere Koalitionsparteien den Gesetzentwurf zur Auflösung der Knesset unterstützt hatten und vermutlich langfristig ebenfalls aus der Regierung ausscheiden. An ihrer Stelle könnte der Ministerpräsident die Abgeordneten zweier strikt weltlicher Parteien zu sich rufen. Er hätte jedoch auch dann nur eine Minderheitsregierung mit 52 von insgesamt 120 Mandaten. Gleichzeitig würde Barak sich in allen Entscheidungen für ein Friedensabkommen auf die sichere Unterstützung der zehn arabisch-israelischen Abgeordneten verlassen können.
„Auch mit einer Minderheitsregierung werden wir zu einer Endstatus-Lösung kommen“, erklärte Justizminister Jossi Beilin im Anschluss an die Presseerklärung der Schas-Minister. „Wer heute Neuwahlen fordert, der will im Grunde den Frieden verhindern.“ Israel und die Palästinenser befänden sich „auf dem letzten Kilometer“, fügte Beilin hinzu. Neuwahlen würden die derzeitigen Verhandlungen erneut aufhalten. Dazu kommt, dass vorgezogene Wahlen, jüngsten Meinungsumfragen entsprechend, kaum zu einem anderen Ergebnis führen würden als die Wahlen im vergangenen Frühjahr.
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