Schluss mit den Ausreden

Die US-Regierung wird in einem „statement of interest“ amerikanischen Gerichten empfehlen, Klagen ehemaliger Zwangsarbeiter abzuweisen

von CHRISTIAN SEMLER

Allgemeines befreites Aufatmen gestern Abend in Washington: Nach zehnstündigen Verhandlungen zwischen dem Grafen Lambsdorff und Stuart Eizenstat, den beiden Moderatoren der internationalen Verhandlungen zur Entschädigung der Zwangsarbeiter, scheint das Hindernis „Rechtssicherheit“ für die deutschen Firmen beiseite geräumt. Stuart Eizenstat formulierte es optimistisch-vorsichtig: „Heute stehen wir am Rande eines historischen Abkommens“.

Der Wortlaut steht noch aus. Aber das statement of interest, die Empfehlung der amerikanischen Regierung zur Abweisung individueller Klagen, falls die Bundesstiftung für die Zwangsarbeiter unter Dach und Fach ist, scheint die deutschen Sicherheitsbedürfnisse jetzt doch zu befriedigen.

Worin bestand bislang die Barriere? Die deutschen Firmen, die während des Zweiten Weltkriegs Zwangsarbeiter beschäftigt hatten, wollten sich vergangenes Jahr mit ihrer „Stiftungsinitiative“ zu ihrer „Verantwortung bekennen“ – allerdings nur zu einer moralischen. Einen Rechtsgrund für die Klagen von Zwangsarbeitern bestritten sie entschieden. Mit der Summe von fünf Milliarden sollte es sein Bewenden haben. In erster Linie die USA sollten sich verpflichten, für die definitive Abweisung aller Klagen von Zwangsarbeitern zu sorgen.

Daraus wurde nichts. Die US-Regierung erklärte sich lediglich bereit, in jedem anhängigen Verfahren ein „statement of interest“ abzugeben, in dem darauf hingewiesen werde, dass die Vereinbarung zur Errichtung einer deutschen Bundesstiftung für die Zwangsarbeiter dem amerikanischen außenpolitischen Interesse entspricht. Die amerikanischen Gerichte sind an solche Empfehlungen nicht gebunden, halten sich aber normalerweise an sie.

In dem Brief Präsident Clintons an Bundeskanzler Schröder vom Dezember letzten Jahres findet sich allerdings der Satz, dass die im geplanten statement of interest empfohlene Einstellung aller Rechtsfälle „nicht notwendigerweise eine unabhängige rechtliche Grundlage für eine Einstellung darstellt“. Der deutschen Seite erschien die Formulierung als indirekte Unterstützung der klagenden Zwangsarbeiter. Sie bestand darauf, dass sie aus dem „statement of interest“ verschwinden müsse.

Theoretisch hätte die Clinton-Regierung auf ihre verfassungsmäßigen exekutiven Rechte nach der „Political Question Doctrine“ pochen und darlegen können, dass die Klagen abgewiesen werden müssen. Sie hätte darauf hinweisen können, dass sie sich außenpolitisch festgelegt hat und ein Gericht ihr nicht in den Rücken fallen dürfe. Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hat 1962 in einem Kriterienkatalog die Fälle solcher Festlegungen aufgeführt und dabei insbesondere völkerrechtliche Verträge und Abkommen erwähnt. Dementsprechend hat ein US-Bundesgericht vor kurzem die Klagen ehemaliger amerikanischer Kriegsgefangener gegen die japanische Regierung abgewiesen – unter Hinweis auf den Friedensvertrag zwischen beiden Staaten.

Eine solche Art von Klagabweisung kommt aber im Fall der beklagten deutschen Firmen nach amerikanischer Auffassung nicht in Frage, weil das executive agreement zwischen den USA und der Bundesrepublik, auf Grund dessen das statement of interest ergeht, nicht mit dem Abschluss eines Friedensvertrags oder völkerrechtlich bindenden Abkommen im Sinne der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs verglichen werden könne.

In dem häufig als Präjudiz zitierten Fall, wo durch executive agreement zwischen dem Iran und den USA Schadensersatz amerikanischer Bürger gegen das Mullah-Regime ausgeschlossen wurde, lagen die rechtlichen Verhältnisse gänzlich anders. Damals hatten sich die USA und der Iran unter Vermittlung Algeriens darauf geeinigt, in Den Haag ein claims tribunal, ein Schiedsgericht zu errichten, das amerikanische Forderungen gegen den Iran aus den in den USA eingefrorenen Mitteln des Iran beglich. Dieses die Gerichte bindende executive agreement ist vom Obersten Gerichtshof der USA im Wesentlichen gebilligt worden. Es liegt auf der Hand, dass die deutschen Firmen dieses Präjudiz nicht in Anspruch nehmen können.

Obwohl die deutschen Unternehmen stets betonten, es gehe ihnen nicht um absolute, sondern nur hinreichende Rechtssicherheit, haben sie in den Verhandlungen sofort die Maximalposition bezogen. Sie erklärten, anders könnte nicht eine genügend große Zahl von Firmen zum Stiftungsbeitritt bewogen werden. Totz vieler gut gemeinter Ratschläge beharrten sie auf der Forderung nach einer Sicherheit, die ihnen nach amerikanischem Rechtsverständnis einfach nicht gewährt werden konnte und brachten die Verhandlungen damit an den Rand des Scheiterns. Wenn die Verhandlungen jetzt dennoch den Rand zum Erfolg überschritten haben, so nur, weil unter dem Druck der Öffentlichkeit sich die deutsche Seite zu dem bequemte, was von vornherein die einzig realistische Lösung war: ein statement of interst mit der wahrscheinlichen Folge der Klagabweisung. Mit der Vereinbarung ist der letzte Vorwand beiseite geräumt, hinter dem sich die zahlungsunwilligen Nutzer von Zwangsarbeit verschanzt haben. Jetzt steht Lambsdorrff vor seiner schwieigsten Aufgabe: Die Front der Zahlungsunwilligen zu sprengen.