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Gib dir die Kante

Yo, man, it’s Architekturkritik: Skateboardfahren auf dem Potsdamer Platz. Mit hippem Händeschüttel-Code und möglichst hohem Reibungskoeffizient

von CHRISTOPH BRAUN

Summer in the city. Smarte Pärchen nutzen Parkhäuser als Aussichtspunkte, Picknick und Sonnenuntergang inklusive. Die Blicke der Jungverdienenden schweifen über die urbanen Landschaften, so will es die Autowerbung für den Smart.

Skater sind auch smart, haben aber Bretter. Und sind damit vielseitiger einsatzfähig, bilden biegsamer Mensch-Maschine-Einheiten. Mit einem Smart fährt man keine Treppengeländer herunter, mit Skateboards aber lassen sich Gebäudeteile hervorragend umfunktionieren.

Die Halfpipes, die in ganz Berlin rumstehen, dienen erfahrenen Skatern nur als Übungsorte. Was zählt, ist die Präsenz im öffentlichen Raum. Markante Orte kommen nicht ohne Skateboards aus: Bretter fliegen über den Alex, übers Frankfurter Tor und den Breitscheidplatz. Und über den Potsdamer Platz. In Zeiten erbärmlicher Stadtplanung werden „Strategien gegen Architektur“ gebraucht, wie es schon 1994 bei den Einstürzenden Neubauten hieß. Skateboardfahren ist so eine Strategie.

Nach den Auseinandersetzungen um die Neue Nationalgalerie, wo die Verwaltung Steinchen streuen wollte, entdecken die Skater jetzt das Neue Berlin. Heute sind sie an einer Treppe irgendwo zwischen Spielbank und Philharmonie angekommen. Backsteinstufen mit Mauer, Oberseite holzvertäfelt. Ein vielleicht neunzehnjähriger Skater trägt ein olivfarbenes T-Shirt mit Dickies-Aufdruck. Es ist ihm zwar zu groß, doch verglichen mit der beinahe ballonförmigen Carhartt-Jeans liegt es eng am Körper. Blaues Angler-Hütchen und Schuhe von DC. Seine Freunde unterhalten sich gerade am Soundsystem und haben HipHop eingelegt, die neue Dilated Peoples.

Jemand mit flaumigem Ziegenbärtchen kommt angerollt und begrüßt sie mit einem speziellen Händeschüttel-Trick. Er schaut sich um, lächelt und reckt dem Dickies-Skater die Faust entgegen. Der nimmt jetzt Anlauf. Tempo. Nach kräftigen Anschüben auf dem Gehweg belastet der Dickies-Körper das hintere Ende des Boards. Das Brett schnellt hoch. Blitzschnell muss der Fahrer sein Gewicht nach vorne verlagern. Das Ziel ist die Holzkante der Treppenmauer. Der Rest ist Balance. Nur auf der Vorderachse des Brettes kratzt der Skater die Kante entlang. Dann springt er ab. Und landet auf einer Stellwand aus Holz, die seine Freunde irgendwo am Potsdamer Platz mitgenommen haben. Keine Regung im Gesicht des Jungen. Als er auf seine Kumpels zufährt, rufen sie ihm anerkennend ein „Du bist der Grind-Meister!“ zu.

Damit das niemand falsch versteht: Grind heißen Aktionen, in denen sich die Radachsen an Fremdmaterial reiben. Und wer in offiziellen Architekturen skatet, der will Reibung. Indem die Skater mit Treppen oder Sitzbänken spielen, pumpen sie Blut durch die Adern der scheintoten Orte. Das kratzende Board massiert die Mauerkanten, die sich sonst ewig langweilen. Weil alle PassantInnen gleich mit ihnen umgehen, die Treppen einfach nur hochgehen, auf den Bänken einfach nur sitzen.

Bei Reibung entsteht auch Hitze: An diesem Tag ziehen die Jungs in aller Ruhe ihre Sprünge durch. Gerne kommt aber auch mal ein Ordnungshüter – privater oder polizeilicher Art – und bittet im besten Falle höflich, das Gelände zu verlassen: „Zu Ihrer eigenen Sicherheit und zum Schutz der Passanten.“ Gut, dass die Szene gemeinsame Zeichen benutzt. Die Begrüßung schwört aufeinander ein. Gegen die Musik muss der Mann erst mal anschreien. Und die weite Kleidung dämpft den Aufprall von Schmutz und schmutzigen Wörtern. Unschönes darf dann Buckel oder Beine runterrutschen.

Alles reibt sich bei den Skatern. Material an Material, architektonische Bestimmung an ihrer Neudefinition, Jugend an Alter. Blixa Bargeld hat vor kurzem in Spex erzählt, er wolle sich Visitenkarten mit der Bezeichnung „Architekturkritiker“ drucken lassen. Soll er den Skatern gleich mal welche mitdrucken.

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