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Feuchtes Missvergnügen in Blau

■ Haben Bremer KünstlerInnen keine eigenen Ideen mehr? An der omnipräsenten Stadtmarketing-Kampagne „Blaustark“ beteiligen sie sich jetzt 42 KünstlerInnen mit einer blauen Ausstellung und blauen Filmen

Eine Ausstellung hat einem im Kino gezeigten Kurzfilmprogramm gegenüber einen entscheidenden Vorteil: Man kann die Bilder, die einem nichts sagen, mit einem Blick streifen und zum Nächsten gehen, während man im Kino entweder sein Missvergnügen aussitzen oder gleich ganz gehen muss. So geht es einem etwa bei dem Projekt zum Bremer Expo-Thema Blau, das heute Abend im Waller Medienzentrum anläuft.

42 Bremer KünstlerInnen zeigen „blaue“ Werke. Eine Handvoll wirklich gelungener Arbeiten mag darunter sein – ein blaues Stück Gras oder eine Collage mit Marmeladengläschen sind zumindest originelle Blickfänger. Im Kinosaal wird man dagegen schnell unruhig, wenn etwa in dem Film „Camera“ von Bernd Dehne 18 Minuten lang eine Frau in Blau zur Musik von Bach unbewegt ein Büchlein liest oder aus dem Fenster blickt. Das ganze ist als Hommage an die Bilder von Jan Vermeer gedacht, aber auch wenn die Kamera manchmal an die Perlenkette am schönen Hals der Dame herankriecht, wird der Film dadurch nicht besser.

Interessant an diesem Programm sind neben einzelnen Höhepunkten die Parallelen zwischen den Filmen: Alle haben eine ruhige, meditative Stimmung. Ein ähnliches Programm mit „roten“ Filmen würde sicher viel hektischer und diesseitiger wirken. In zwei von den gelungenen Filmen scheint es sogar exakt die gleiche Einstellung zu geben: eine Landschaft vom Fenster aus gesehen, wobei das Fensterkreuz das Bild in zwei Hälften teilt. Aber Christoph Janetzkos hat in seinem Film „Fenster“ tatsächlich nur Landschaftsaufnahmen aus Fenstern heraus gemacht und diese kunstvoll montiert, während der Japaner Toshino Matsumoto in seinem Film „Ki-Breathing“ jedes Bild elektronisch verfremdet, so dass sich sein „Fensterbild“ als eine geschickte Spiegelung herausstellt. Dieses rätselhaft, faszinierende Werk ist eindeutig der Höhepunkt des Programms. Aber auch Ingo Petzke gelingt es, mit seinem Film „Albedo 0.97“ Landschaften in Blau ähnlich irritierend schillernd zu zeigen.

Die beiden restlichen Filme des Programms sind nicht viel mehr als feuchte Träume: In „Blue's Transit“ zeigt Barbara Thiel einen nackten Frauenkörper in möglichst poetisch/erotischen Posen. Und Matthias Müller macht das gleiche in „Sleepy Heaven“ mit Männern. Die schwule Ästhetik ist der lesbischen da noch ein wenig voraus, weil bei Müller immerhin auch noch Matrosen und Schiffe eine Rolle spielen, aber viel mehr bringt das auch nicht. Der Film eines anderen schwulen Filmemachers fehlt hier übrigens schmerzlich, denn der radikal-geniale Derek Jarman hat mit „Blue“ den ultimativen blauen Experimentalfilm gedreht: 76 Minuten lang sieht man da nichts weiter als eine blaue Leinwand!

Schön an der Verbindung von Ausstellung und Film ist, dass das Kino draußen weitergeht: Das beeindruckendste Bild hängt nahe am Kinoeingang. Isolde Loocks hat in dem großformatigen „Der Blaue Engel“ eine Fotografie von Marlene Dietrich so in die Länge gezogen, dass ihr Gesicht aussieht wie der Kopf eines edlen Rennpferdes. Und selbst in diesem Zerrspiegel behält die Diva noch ihre Aura.

Wilfried Hippen

„Kobalt, Veilchen, Indigo“ bis zum 10. Juli im Medienzentrum, Waller Heerstr. 46; Eröffnung heute um 19 Uhr; Filmprogramm „Der blaue Abend“ um 20.30 Uhr

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