: Deutsches Bier aus Russland
Nach der Finanzkrise kaufen Russen lieber Russisch – zu Lasten deutscher Importe. Deswegen produzieren deutsche Firmen immer mehr in Russland, reden nicht über Tschetschenien und erwarten von Putin Vebesserungen bei Investitionen
aus Moskau BARBARA KERNECK
Was dem einen sin Uhl, ist dem anderen sin Nachtigall. Im August vor fast zwei Jahren sprachen alle von der weltweiten schweren Finanzkrise, die vor allem Russland betraf. Heute sieht es so aus, als hätte den russischen Produzenten nichts Besseres passieren könne, als die massive Rubelabwertung. Weil die Russen dank Devisenmangel nun lieber Russisch kaufen, erlebt die russische Industrie eine ungeahnte Blüte. Seit Juli 1999 liegt die russische Industrieproduktion jeden Monat um zehn Prozent über der des Vorjahresmonats.
Wer angesichts dessen in die Röhre guckt, das sind die ausländischen Importeure. Ende Mai veröffentlichte die Delegation der Deutschen Wirtschaft in der Russischen Föderation ihren Beitrag zur jährlichen Umfrage des Deutschen Industrie- und Handelstages. Demnach sind die Einfuhren deutscher Unternehmen nach Russland kräftig geschrumpft. Letztes Jahr wurden in Russland um 31,7 Prozent weniger Waren aus Deutschland importiert, als noch 1998. Bei den Lebensmittelimporten, zum Beispiel, die noch vor zwei Jahren 70 Prozent der russischen Einfuhren ausmachten, sanken die aus Deutschland von Waren im Wert von von 2,2 Mrd. Mark (1998) auf 1,4 Mrd. Mark (1999). Große Verluste erlitten auch die deutschen Exporteure von Markenartikeln. Das schlug wiederum auf das Transportgewerbe durch und führte zu einem Rückgang von 40 Prozent der Aufträge für die in Russland sehr aktiven deutschen Speditionen.
Und was erst die fahrbaren Untersätze aus Deutschland betrifft, so brach deren Absatz in Russland letztes Jahr sogar um 68,9 Prozent ein. Die Einbußen betreffen allerdings weniger die Luxusschlitten als die Mittelklassewagen. Die russische Entscheidung fällt wegen der wesentlich höheren Kosten heute eher zugunsten eines Schiguli als eines Volkswagens aus. Darüber wiederum freut sich die russische Autoindustrie.
Der Bericht der Delegation der Deutschen Wirtschaft gebraucht für diese Art von russischem Boom ein hübsches Wörtchen: „Abwertungswachstum“. Dennoch wird es bei den deutsch-russischen Begegnungen um den Besuch Präsident Putins herum noch einiges zu bereden geben. Denn, darin sind sich die etwa 1.000 in Moskau akkreditierten deutschen Firmen einig: Die Talsohle im Handel wird dieses Jahr überschritten. Dazu kommt ein Paradoxon: Die Krise, die den mit Russland Handel treibenden deutschen Firmen so viele Verluste brachte, hat die Deutschen in ihrer Position als Handelspartner Nr. 1 dieses Staates sogar gestärkt. Denn sie dezimierte den russischen Import aus anderen Staaten noch stärker. Da die Russen außerdem nun darauf bestehen, die Artikel ihres täglichen Bedarfs selbst zu produzieren, bleibt der deutschen Wirtschaft nichts anderes übrig, als ihnen das zu liefern, was sie dafür brauchen. Russische Manager bestellen zunehmend Produktionslinien für Industrie und Anlagen in Deutschland. Das spektakulärste Absichtsprotokoll unterschrieb Ende letzten Jahres die Korne Holdings GmbH mit der Gebietsverwaltung von Kemerowo. Die deutsche Firma will Anlagen zur Herstellung von gigantischen, den sibirischen Weiten angepassten Mähdreschern liefern.
Es produzieren aber auch mehr und mehr deutsche Anbieter im Land selbst. Wiederum ist der Nahrungsmittelbereich führend: Schon lange fließt das Bier von vier deutschen Firmen aus russischen Fässern. Und seit März erfreut der Joghurthersteller Ehrmann russische Familien mit 2.400 Tonnen Joghurt aus Ramenskoje. Das Überleben deutscher Firmen hängt allerdings von einer Verbesserung des Investitionsklimas ab: Putin, das hoffen die Firmen, soll eine Verbesserung des Vertragsrechtes bewirken, des unüberschaubaren Devisenrechtes, der Zollpolitik und des absurden Systems der Warenzertifizierung. Erholsame Themen für Putin: Über Tschetschenien reden die Firmen lieber nicht.
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