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Freizügiges Spießerglück

Die aktuellen Fernsehfilm-Produktionen der Privatsender versuchen den Spagat zwischen Arthouse-Kopie und Internet-Schocker. Das Ergebnis ist bis auf wenige Ausnahmen eher mau. Ein Überblick

von CHRISTIAN BUSS

Manchmal kann das Fernsehen die beste Freundin einer Frau sein. Zuschauerinnen jedenfalls sind mit ihrem aufgestauten Frust nicht alleine, solange es Filme wie „Anna H. – Geliebte, Hausfrau, Hure“ gibt.

In dem Beziehungsdrama, das Anfang April bei RTL zu sehen war, werden die Probleme einer ganz normalen Buchhaltergattin auf den Punkt gebracht, um danach den Weg aus der Misere zu weisen. Was also tun, wenn der Gemahl gleichermaßen mit dem Haushaltsgeld und der körperlichen Zuneigung knausert? Verdienen Sie sich doch einfach ein bisschen was dazu. Zum Beispiel als Prostituierte.

Anna H. nämlich, die nur anfänglich traurige Heldin aus dem „Großen TV-Roman“, verdient als Halbtagskraft in einem geschmackvoll eingerichteten Bordell locker ein paar Tausender dazu und erweitert auch ihren Horizont in Sachen Sexualpraktiken, was wiederum dem ehelichen Liebesleben neuen Drive gibt. Denn eines Tages schaut natürlich ihr Mann im Puff vorbei und schwängert die von ihm unerkannte Angetraute ...

Was für ein Drehbuch! Die Rolle der Frau ist hier zwar die spannendere, weil sie alle erdenklichen bizarren Liebesspieltechniken ausprobieren darf, am Ende findet die Extremsex-Erfahrene ihre Erfüllung dann aber doch nur als Projektionsfläche für die faden Fantasien ihres Mackers. Freizügiger wurde im deutschen Fernsehen noch nie das Spießerglück beschworen. „Anna H.“ – das ist wie Kubricks „Eyes Wide Shut“ im Bausparer-Ambiente.

Gleichzeitig ist der Selbstfindungstrip symptomatisch für eine neue Ausrichtung, die die privaten Sender bei ihren Filmen vorgenommen haben: Das Fernsehen plündert ja bekanntlich das Kino, und in der letzten Zeit wurde vor allem das europäisch ausgerichtete Arthouse-Kino geplündert. Auf die sattsam bekannten amerikanischen Genre-Muster verzichtete man in den Produktionen der letzten Monate erstaunlich oft.

Bezug zum Kinofilm

Nun werden also ambitionierte Kinofilme der letzten Jahre kopiert, die das Schattenreich des Unterbewußtseins ausleuchten. Nekrophilie, Inzest, sexuelle Projektionsmechanismen – all diese schwierigen Sujets greifen die des Feingefühls unverdächtigen TV-Romanciers auf.

Dabei stellen sie im Gegensatz zu ihren Vorbildern kaum das Konstrukt der bürgerlichen Identität auf den Prüfstand; von Interesse ist allenfalls das Skandalpotenzial der Themen. Neben „Der Kuss meiner Schwester“, in dem sich Ex-Soap-Sternchen durch ein Drama über Geschwisterliebe dilettieren, ist in dieser Hinsicht vor allem „Liebe ist stärker als der Tod“ hervorzuheben. Die Pathologen-Operette, in der deutlich der Einfluss der Arthouse-Hits „Kissed“ und „Nightwatch“ zu spüren war, ließ sich mit ihrer haarsträubenden Handlung kaum toppen: Erzählt wird von einer Ärztin, die ihren frisch verstorbenen Geliebten besteigt, um sich von der noch nicht ganz kalten Leiche schwängern zu lassen.

Während einige TV-Produzenten also schamlos ambitionierte Kinofilme kopieren, sind andere schneller als das wirkliche Leben. Geradezu grenzenlos ist die Fantasie, wenn es ums Internet geht: Beim World Wide Web ist alles drin – vor allem, so wissen die TV-Angestellten, Perverse jeglicher Couleur. Kinderschänder, Pornohändler und Sadisten treiben hier ihr schändliches Spiel. Und weil niemand weiß, wie das Netz eigentlich funktioniert, sind diese Psychos besonders Angst einflößend.

Doch auch wenn sich die Drehbuchschreiber im Internet so ziemlich jedes Verbrechen vorstellen können, neue ästhetische Strategien sind ihnen in Bezug auf das neue Medium nicht eingefallen. Ob Thomas Heinze in der unverschämt plumpen Vox-Koproduktion „20:13 – Mord im Blitzlicht“ Kinderschänder zur Strecke bringt, Ex-„Balko“ Jochen Horst in „maedchenkiller.de – Todesfalle Internet“ (Sat.1) sich von einem blonden Web-Vamp an den Rand des Wahnsinns treiben lässt oder in „Verführt – Eine gefährliche Affäre“ eine unbedarfte Frau via virtuellem Darkroom in S/M-Unartigkeiten verstrickt wird: Das Netz dient lediglich als flimmernder Hintergrund, vor dem sich frank und frei die üblichen Verschwörungstheorien zusammenfiebern lassen.

Computerspiel-Logik

Lediglich der Pro-7-Knaller „Thrill – Spiel um dein Leben“ ging unlängst einen Schritt weiter und setzte die Logik eines Internetspiels als erzählerisches Element ein. Für deutsche TV-Verhältnisse echt plietsch.

Doch aus welchem Blickwinkel man das neue Medium auch betrachtet, Gutes bringt es den Menschen nach dem Willen der Fernsehmacher nie. Geht es ums Internet, regiert die Angst.

Den Höhepunkt der Paranoia markierte drei Tage vor dem Jahrtausendwechsel Sat.1 mit „Computer-Crash 2000 – Die Millennium-Katastrophe“, in dem Jürgen Prochnow als Gefängnisdirektor die Apokalypse verhindern sollte. Prochnow löst den Konflikt gewohnt hohlwangig und handgreiflich. Das EDV-Armageddon wird so noch einmal abgewendet. Oder sagen wir besser: verschoben.

Die fernsehkompatible Aufbereitung der „I Love You“-Hysterie wird schließlich nicht lange auf sich warten lassen.

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