: Der Lackmustest
Der Mann aus Sri Lanka ist der Gewinner. Christoph Schlingensiefs präzises Spiel mit dem Zynismus ist zu Ende gegangen – und alle haben mitgespielt und Farbe bekannt
Und am siebten Tag vollendete er sein Werk, und siehe, es war sehr, sehr gut. Als Christoph Schlingensief am Samstagabend sein Container-Projekt „Bitte, liebt Österreich“ zum Abschluss brachte, ging eine der in ihrer präzisen Wirkung verblüffendsten Theateraktionen der Zweiten Republik zu Ende. Zur Erinnerung: Schlingensief hatte 12 Asylanten nach „Big Brother“-Manier eine Woche lang in einer Containerburg im Stadtzentrum Wiens, unmittelbar neben der Staatsoper, untergebracht. Alle Österreicher waren täglich eingeladen, die zwei unbeliebtesten Asylbewerber telefonisch abzuwählen, die dann über die Grenze abgeschoben wurden. Der Gewinner im Container, ein Mann aus Sri Lanka, soll nun die Möglichkeit erhalten, eine Österreicherin zu heiraten und so im Lande zu bleiben. Über dem Container spannte sich ein vier Meter breites Transparent mit der Aufschrift „Ausländer Raus“ in das Wiener Weichbild, zwei blaue Fahnen der FPÖ flatterten zufrieden im Wind. Prominente wie Elfriede Jelinek, Sepp Bierbichler oder Daniel Cohn-Bendit übernahmen für jeweils einen Tag die Schirmherrschaft.
Im Laufe einer Woche hatte sich nahezu die gesamte Republik hysterisch darum gerissen, einen Part in dem intelligenten Spiel mit dem ganz normalen Zynismus übernehmen zu dürfen. Vor allem um die Protagonistenrolle des Erzbösewichts gab es große Rangeleien. Lange sah es so aus, als sollte die Kronenzeitung, Meinungserfinderin für 43 Prozent der österreichischen Bevölkerung, den Sieg davontragen. Täglich hetzten Kolumnisten, reimende Hausdichter und Illustratoren gegen die angebliche „Nichtkunst“, deren politische Tiefenwirkung sie schnell erfasst hatten. Pikanterweise wurde am letzten Tag eine Zeichnung der rechtskonservativen Presse übernommen, die Schlingensief kniend einen „FURZ“ entwehen lässt, auf den sich die Mikrofone der Welt richten – gezeichnet von Ironimus alias Gustav Peichl, dem Architekten der Bonner Kunsthalle. Und noch ein Detail am Rande: Einer der Wortführer der Kronenzeitung, Josef Kalina, hatte vor dem Regierungswechsel als Pressesprecher des SPÖ-Kanzlers Viktor Klima die ästhetische Gegenposition verteidigt. Dutzende solcher moralischer Faulbömbchen detonierten unbeschwert stinkend rund um den Container und verbreiteten einen säuerlichen Geruch, der erst in zweiter Linie den täglichen Buttersäure-Attentaten zuzuschreiben war.
In auffallender Zurückhaltung übte sich Jörg Haiders rechtspopulistische Partei FPÖ, deren Regierungsbeteiligung und offen ausländerfeindliche Politik der Auslöser für Schlingensiefs Projekt waren. Lange Zeit hüllte sie sich in gedankenschweres Schweigen. Doch zum Schluss schaffte sie es doch noch aufs Siegertreppchen: Gewissermaßen als Satyrspiel zum Ausklang der Tragödie hatte sie beschlossen, Schlingensief für die Hängung eines Transparents mit dem SS-Spruch „Unsere Ehre heißt Treue“ wegen Verstoßes gegen das Wiederbetätigungsgesetz zu verklagen. Mit diesem Satz zitierte Schlingensief aber just einen FPÖ-Politiker, der eine Woche zuvor mit jenem strammen Spruch sein Wahlvolk zur Urne komplimentiert hatte – um sich anschließend öffentlich zu entschuldigen, die historische Bedeutung des Satzes sei ihm unbekannt gewesen. Für so viel Unwissen verklagt sich nun also die FPÖ via Schlingensief selbst. Strafe muss sein.
„Wir haben unrealistisch begonnen und sind realistisch geworden“, resümierte Christoph Schlingensief die decouvrierenden Effekte seines Spiels. Indem er Haider beim Wort nahm, seine Sätze „Realität“ werden ließ, Europa und den knipsenden Touristen die bösen Bilder bot, die es sich von Österreich machte, den Zynismus einer Warenwelt auf die Spitze trieb, die mit Menschenschicksalen auf Quotenjagd geht, wirkte seine Aktion, in der so genannte Realität und Fiktion nahtlos ineinander übergingen, wie das Lackmuspapier im trüben österreichischen Teich. Ob er wollte oder nicht, jeder war gezwungen, Farbe zu bekennen, seine Rolle im Spiel zu wählen. Und siehe, es war sehr, sehr gut.
CORNELIA NIEDERMEIER
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