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„Feinkost-Käfer“ des Proletariats

Kurt Pfennig ist tot. Aber seine Salate leben in uns weiter. Und wie. Alleine in Berlin und Bandenburg haben die Pfennigs-Produkte („lecker, lecker“) einen Marktanteil von 57 Prozent. Ein empirischer Streifzug in Sachen Kultur der Berliner

von UWE RADA

„Dieser beliebte Salat wird nur aus besten Zutaten hergestellt.“ Das steht auf der Packung. Drin ist Kartoffelsalat, und zwar der in Öl. Feines Pflanzenöl. Dazu Kartoffeln, Gurken, Wasser, Paprika, Zucker, Branntweinessig, Salz, Senf, Gewürze sowie die ebenfalls beliebten Konservierungsstoffe Natriumbenzoat und Kaliumsorbat. Auf irgendeine dieser Beilagen muss ich tierisch abfahren, denn schon vor dem Aufreißen der Packung läuft mir das Wasser im Munde zusammen. Sind es die Gurken, ist es der Senf oder das Natriumbenzoat? Kurt Pfennig wird mir diese Frage nicht mehr beantworten können. Kurt Pfennig ist tot. Wie es hieß, starb er am vergangenen Donnerstag nach kurzer, schwerer Krankheit. Wer weiß.

Aber lassen wir die Toten, der Kartoffelsalat lebt. Und er schmeckt. Unklar ist nur, wonach. Gurke, Senf oder Natriumbenzoat? Entweder bei meinen Geschmacksnerven spielen die Synapsen verrückt oder all die elf Inhaltsstoffe sind eine Allianz gegenseitiger Neutralisierung eingegangen. Blöd nur, dass man daraus nichts lernt. Ich wette, auch vor dem nächsten Öffnen einer Pfennigs-Packung wird der Speichel fließen. Wenigstens das Erfolgsrezept habe ich damit durchschaut. Seit 1907 wird mit dem Speichelfluss Praecox Kohle gemacht. 57 Prozent Marktanteil hat der „Käfer des Proletariats“, deutschlandweit ist er der drittgrößte Feinkostanbieter.

Schnell noch ’ne Scheibe Paech-Brot („Qualität ist unser täglich Brot“), dann der Kartoffel-Salat mit Salatcreme. Rein inhaltlich unterscheidet er sich vom öligen Bruder durch die Hinzunahme von Stärke, Eigelb und Speisewürze, empirisch zeichnet er sich durch den Geschmack roh gebliebener Kartoffeln aus. Und durch Mayonnaise, nur von der steht nichts auf der Packung. Ist Mayonnaise etwa die Synthese von Stärke und Eigelb? Mehr Fragen habe ich nicht mehr. Nur einen Verdacht. Offenbar gibt es zwischen dem Markanteil von Pfennigs und der Berliner Kultur einen Zusammenhang. Und eine Traditionslinie, die von Kaiser Wilhelm bis zu Eberhard Dipegen reicht: Stärke und Eigelb eben.

Das soll nicht heißen, dass diese Kultur nicht auch international sein könnte. Auch wenn sich der Puszta-Salat mit einem polnischen sz schreibt und nicht mit einem richtig feurigen ß. Der orthografischen folgt die Geschmackverirrung auf der Gabel. Mayonnaise, rosarötlich eingefärbt, drinnen ein paar Wurststreifen. So also stellte man sich bei Kurt Pfennig Osteuropa vor.

Da fragt man sich natürlich, warum die DDR die Kalte Kriegserklärung nicht aufgriff. Warum es die SED-Führung versäumte, Pfennigs-Salate in den HO-Kaufhallen anzubieten? Die DDR hätte ob dieses „Geschmacks des Westens“ glatt noch ein paar Jährchen länger existiert.

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