piwik no script img

„Die dürfen sich bei Jüngeren nicht anbiedern“

Wolfgang Niedecken, Mitglied der Kölner Rockgrupe BAP, über grüne Politik in der Koalition und Politikverdrossenheit bei Jugendlichen

taz: Wenn die Grünen an die Regierung kommen, wird zu Staatsempfängen keine Militärkapelle aufspielen, sondern zum Beispiel BAP – hat der damalige Grüne Otto Schily im Wahlkampf 1987 versprochen. Was ist daraus geworden?

Wolfgang Niedecken: (lacht) Es hat nie einer gefragt. Dabei gäbe es Staatsgäste, für die ich gerne spielen würde. Natürlich nicht für irgendwelche Despoten.

Wie wirken die Grünen heute auf Sie?

Sie haben auf dem Parteitag zum Balkankrieg ein erbärmliches Bild abgegeben. Dass sich Joschka Fischer von seinen eigenen Leuten Farbbeutel an den Kopf werfen lassen musste, das war ein absoluter Tiefpunkt. Ich fand seine Position zum Balkankrieg völlig richtig.

Wie fanden Sie die ersten beiden rot-grünen Regierungsjahre?

Es ist für die Grünen schwer, neben der SPD und dem Medienkanzler zu bestehen. Vielleicht sollten sie doch besser keine Regierungsverantwortung übernehmen und stattdessen die Finger in die Wunden legen und die Leute wach halten. Ich war früher anderer Meinung. Beim Regierungswechsel habe ich mich damals sehr gefreut, dass die Grünen nun mit an der Regierung sind.

Was sagen Sie zur Wiederauflage der Regierungskoalition in Nordrhein-Westfalen?

Wie der Clement die Grünen unterpflügt, das schmerzt. Diese Koalition sollten sie besser bleiben lassen.

Was halten Sie von Joschka Fischers Performance als Außenminister?

Manchmal wirkt er ein bisschen arg staatstragend. Aber es wäre auch lächerlich, wenn er heute noch in Turnschuhen rumrennen würde. Es ist sicher schwer für ihn, neben dem Brioni-Mann zu bestehen. Es wäre schön, wenn er wieder etwas lustiger würde. Aber wahrscheinlich ist dieser Job alles andere als lustig. Er ist auf jeden Fall einer der wenigen Politiker, denen ich vertraue.

Und wie finden Sie Jürgen Trittin und Andrea Fischer?

Ich habe da keine Klagen. Trittin hat ja die Arschkarte gezogen: Als Grüner ein Umweltminister zu sein und immer alles gegenüber der Parteibasis abrechnen zu müssen – daum beneide ich ihn nicht.

Warum kommen die Grünen bei den heutigen Jungwählern nicht mehr an?

Es gibt dieses Gespenst namens Zeitgeist, „Big Brother“ und verstümmelte Nachrichten auf Sat.1 und RTL. Wie sollen junge Menschen, die pausenlos diesen Durchfall vorgesetzt kriegen, politisch interessiert bleiben? Die Politikverdrossenheit hat Maßstäbe angenommen, die mir Angst machen. Ich weiß, wie schwer es ist, bei Heranwachsenden als glaubwürdig akzeptiert zu werden. Wie das gegen die Übermacht der Verblödungsmacht zu schaffen ist, weiß ich auch nicht. Meine Jungs sind jetzt 14 und 16, und sie sind politisch interessiert. Darüber freue ich mich.

Was sollten die Grünen tun, um bei der jungen Generation besser anzukommen?

Es ist ja ganz normal, dass viele Junge nicht dieselbe Partei wählen, die ihre Eltern wählen. Eine Generation setzt sich von der vorhergehenden ab. Das ist in der Kunst so, in der Musik und in der Politik. Inzwischen hat sich der Ablauf ein wenig verändert. In der Postmoderne kann alles mögliche nebeneinander passieren, und man hat die Auswahlmöglichkeit. Die Grünen dürfen sich bei den Jüngeren nicht anbiedern. Es ist albern, wenn ältere Politiker versuchen, auf jung zu machen. Ich krieg immer Pickel, wenn ich so Berufsjugendliche sehe. Ich biedere mich mit meiner Musik auch nicht bei den Jungen an. Trotzdem freu ich mich, wenn ich sehe, da sind viele unter zwanzig im Publikum. Die kommen aber nicht, weil ich mir die Hosen unterm Knie abschneide. Man muss den Kids das Gefühl geben, dass man sie für voll nimmt. Das trifft auch auf eine Partei zu. Vielleicht sollte ich mich mal mit Joschka Fischer zusammensetzen und mit ihm zusammen darüber nachdenken.

Würden Sie denn noch einmal für die Grünen auftreten wollen?

Nicht im Wahlkampf. Das war 1987 notwendig, als die Partei erst mal Boden unter die Füße kriegen musste. Wenn es um bestimmte Themen geht, könnten wir schon mal wieder was zusammen machen. Aber natürlich müsste da auch die junge Musikergarde ran.

Wer denn zum Beispiel?

In den Texten einiger HipHop-Bands steckt eine atemberaubende Intelligenz. Zum Beispiel bei „Fünf Sterne de Luxe“ oder „Freundeskreis“. Auch eine Rockband wie Anger 77 wäre sicher ansprechbar für die Grünen.

INTERVIEW: TINA STADLMAYER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen