piwik no script img

Ein würdiges Ende

Eingesargt und zugedeckelt: Die Arbeitsverweigerer der deutschen Nationalelf lassen sich vorsätzlich vorführen und warten jetzt auf einen Leichenverwalter als Nachfolger von Teamchef Erich Ribbeck

Der deutsche Ausstiegsverbund spielte für sofortigen Urlaub

aus RotterdamBERND MÜLLENDER

Delegationsleiter Gerhard Mayer-Vorfelder, der werdende DFB-Chef, verharmloste hinterher mit juristischem Alltagsvokabular: „Ein Offenbarungseid.“ Mehmet Scholl erklärte sich „sprachlos“. Thomas Linke verglich seine mannigfaltigen „Fehler“ miteinander. Und Interimskapitän Oliver Kahn, der Torwart mit dem Lehmann’schen Reflex beim 0:2, vermerkte staatstragend: „Eine Schande, was wir Deutschland angetan haben“; die Nationalelf sei „in den Graben gefahren“.

Zu Grabe getragen worden, hätte besser gepasst. Sieglos in einer Turnier-Vorrunde ausgeschieden – zuletzt: WM 1938. Der letzte Tabellenplatz in einer EM-Vorrunde: ganz neu. Wie auch das rekordhafte 0:3 gegen eine B-Mannschaft (Portugal schonte neun Spieler). Doch Zahlen sind nur das Skelett für die Art und Weise dieser historische Beerdigung. Manchmal kann ein kleines Fernglas bessere Einblicke als ein Großensemble von Fernsehkameras schenken. Man kann Menschen beobachten, die sich trotz Rampenlicht in manchen Ecken und Momenten unbeobachtet fühlen. Klar, man muss auch Glück haben wie der Safari-Jäger im Busch. Rotterdam war ein guter Ort für solche Pirsch: Das arttypische Verhalten der Spezies Homo kickensis germanis ließ sich an diesem Abend schonungslos entlarven.

Carsten Jancker zum Beispiel. Kaum hatte das portugiesische Reserveteam das erste Tor erzielt – die stadionweite Aufmerksamkeit fokussierte sich auf den Torschützen, von Oliver Kahn noch zu Boden gerammt –, hatte der deutsche Kahlschädel den Ball zum Anstoßpunkt getragen. Drehte sich kurz zurück – und grinste. Ein maliziöses Grinsen, eines, das sagte: Nun denn. Oder: Na also. Sagt da noch wer Naives, es habe Sinn, die Hoffnung nicht sterben zu lassen? Lasst es uns hinter uns bringen.

Oder Jens Jeremies, der schon im Frühjahr, fahrlässig verharmlosend, den Zustand der Mannschaft als „jämmerlich“ taxiert hatte. Jeremies war, zusammen mit Markus Babbel, als Hauptkritiker nach dem England-Spiel auffällig geworden. Die Folge: Beide erlitten plötzliche Verletzungen und landeten auf der Bank. Aber nicht tatenlos: Jeremies malmte Mitte der 2. Hälfte ausdauernd auf einem weißen Strohhalm herum und grinste auch so ein Jancker-Grinsen vor sich hin. Ausdauernd, spöttisch, cool. Und tuschelte was. Mit Babbel und anderen.

Kein Zweifel: Dieser Torso wollte nicht. Der deutsche Ausstiegsverbund spielte für sofortigen Urlaub und ekelte seinen intern verlachten Trainer vorsätzlich aus dem Amt. Man kann das charakterarm nennen. Heraus kam zweierlei: die Gewissheit um die vielen Streit- und Neidgerüchte vorher. Und beste Unterhaltung. Derweil wirkten die mimischen Versuche des erfolgreichst erfolglosesten Trainers im Weltfußball, Horst Hrubesch, Betroffenheit durch Herumfuchteln in den Augenwinkeln zu dokumentieren, wie Augenwischerei. Aber vielleicht hat sich der Mann wirklich geschämt.

Die elf Freunde auf dem Platz waren solidarisch: Erstmals im Turnier war ein hoher Grad an mannschaftlicher Geschlossenheit erreicht: Einer stand für den anderen herum. Nachher wurde er sogar noch einmal im Laufen gezeigt: Als alle, bis auf die drei anfangs zitierten, geschlossen den Mund haltend das Weite suchten. Ab in den Bus (Abfahrt 23 Uhr 33), Ankunft Hotel in Vaals (nach 2 Uhr), wahlweise schlafen oder saufen auf der Terrasse bis zum Morgengrauen (wo es mit Reportern noch einige Händel gegeben haben soll). Um 6 Uhr 15 waren die Ersten schon auf dem Weg zum Flughafen. Ferien.

Die Begleitumstände dieser historischen Beerdigung des deutschen Gegenwartsfußballs hatte so viele schöne Pointen, dass die Harald Schmidt Show dagegen wie die Lesung eines Telefonbuches durch Rudolf Scharping wirkt. Allein dass die Bühne in Holland stand. Der feine Humor seiner Einwohner hatte sich schon in der langsamsten und somit unmitsingbaren Version der deutschen Nationalhymne seit Erfindung des Notenschlüssels manifestiert. Und in der Halbzeitdurchsage: „Für diejenigen, die es interessiert“, sagte der Sprecher betont gelangweilt, „es steht im anderen Spiel 2:1 für England“ – die naiv Gläubigen aus Moffenland hatten ja noch so auf die Rumänen gehofft.

Und was hatten die Einheimischen für eine Freude, als die Deutschen dann wie die Hasen über den Platz gescheucht wurden: Gemeinsam mit den sprachbegabten Portugiesen intonierten sie das spöttische „Auf Wiedersehen“ und trampelten sich minutenlang die Füße wund, dass de Kuip vor dröhnendem Donner fast einen Sprung in die Schüssel bekommen hätte.

Eine persönliche Demütigung war es auch für Holland-Freund Lothar Matthäus in seinem End-Spiel. Wie ihn ein kecker Portugiese in Minute 65 tunnelte und der Betagte sich die Spontangesänge der deutschen Kurve („Zugabe, Zugabe“) anhören musste. Und die perfekte Inszenierung des Hohns, als Rumänien in letzter Minute überraschend noch gewann, weshalb Deutschland ein 2:0 gereicht hätte. „Nur noch fünf“ brüllte da einer. Und die Portugiesen wechselten schnell und viel belacht ihren Dritttorwart ein. Wahrscheinlich ein Spezialist für dramatische Schlussphasen.

Die ernstlich beleidigten deutschen Fans hatten da ihre Gesänge schon eingestellt. Sie hatten abwechselnd „Aufhörn, Aufhörn“ nach dem 0:3 gelautet, dann „Oh, wie ist das schön“, schließlich lautstark „Wir wolln unser Geld zurück“: Bei dreistelligen Eintrittspreisen 15.000fach ein Millionendeal. Eine Direktstafette mit nachgezählt 41 Ballkontakten der Portugiesen in den letzten 90 Sekunden kreuz und quer über den Platz, darunter mit der einzigen und umjubelten Ballberührung des Torwarts, war die finale Demütigung.

Dahin die deutsche Ordnung. Und damit das Fundament des deutschen Fußball-Daseins. Am Anfang des Spiels standen noch, in gewohnt preußisch gerader Linie gereiht, sieben gelbe Trinkflaschen wie Zinnsoldaten am Rande der Coaching-Zone. Eine deutsche Eigenart bei diesem Turnier. Beim Schlusspfiff lagen sie leer und verstreut herum und wirkten doch noch strukturierter als die dürstenden Kicker, für die sie bestimmt waren. Wer kann, würde, soll all diese vielen Flaschen wieder aufstellen wollen?

Portugal: Espinha - Beto, Couto, Jorge Costa, Rui Jorge - Conceiçao, Costinha, Paulo Sousa, Capucho - Sa Pinto, Pauleta (67. Nuno Gomes)Deutschland: Kahn - Rehmer, Nowotny, Matthäus, Linke - Ballack (46. Rink), Hamann, Scholl (60. Häßler) - Deisler, Jancker (69. Kirsten), BodeZuschauer: 50.000; Tore: 1:0 Conceiçao (38.), 2:0 Conceiçao (54.), 3:0 Conceiçao (71.)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen