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Mystischer Corpus

Der Geschmack der anderen: Die Filmreihe „Kinosommer: Frankreich“ flankiert den Gründungsakt der deutsch-französischen Filmakademie

von KATJA NICODEMUS

Weißer Burgunder, Austern und Schnecken in Knoblauch, die man dann auf den fiesen Loopings der berlinweit besten und höchsten Achterbahnen durchschütteln kann – wenn es so etwas wie Völkerfreundschaft überhaupt gibt, dann ist das Deutsch-Französische Volksfest am Kurt-Schumacher-Damm eine ihrer sympathischeren Erscheinungen.

Was auf der Brot-und-Spiele-Ebene funktioniert, soll jetzt auf filmpolitischer Ebene Institution werden. Heute unterzeichnen Gerhard Schröder und Jacques Chirac in Berlin den Gründungsvertrag einer deutsch-französischen Filmakademie. Es geht um eine Verleihförderung der eigenen Filme im anderen Land, um die Einrichtung eines deutsch-französischen Ausbildungszweiges (an der Filmhochschule Ludwigsburg) und um die Veranstaltung gemeinsamer Filmwochen – wobei nur noch nicht ganz klar ist, was denn eigentlich das Akademische an der Akademie ist. Erste Filmwoche im Fahrwasser der frisch gegründeten Akademie ist jedenfalls der parallel in sechs Kinos stattfindende „Kinosommer: Frankreich“.

Nach hinten los ging allerdings die Idee, heute Abend mit der Gala-Premiere von Régis Wargniers Film „Est-Ouest“ zu eröffnen, wohl weil die Hauptdarstellerinnen Sandrine Bonnaire und Catherine Deneuve ganz nett zum anschließenden Staatsbankett gepasst hätten. Beide Schauspielerinnen haben abgesagt, und so bleibt leider nur der Film übrig: ein reaktionärer Schinken über einen nach Frankreich emigrierten, idealistischen Russen, der nach dem zweiten Weltkrieg mit Frau (Sandrine Bonnaire) und Kind in die Sowjetunion zurückkehrt und dort mit der grausamen Wirklichkeit konfrontiert wird: „Die UdSSR ein Volk von Denunzianten, korrupten Bonzen und erbärmlichen Feiglingen“. Schon ein bisschen peinlich, die deutsch-französische Völkerfreundschaft mit einer derart antirussischen und ideologischen Schmonzette zu inthronisieren.

Davon abgesehen wird so ziemlich alles aufgefahren, was uns seit Jahren neidisch auf das Kino im Nachbarland schielen lässt: rund sechzig Produktionen einer Filmbranche, in der Publikumshits, moderne Klassiker (Godard ist im fsk eine Werkschau gewidmet), erfolgreiche Jungfilmer und Regiedebüts immer noch so etwas wie einen mystischen Corpus ergeben.

Olivier Assayas und seinen jüngeren Kollegen Noémie Lvovsky und Francois Ozon sind Werkschauen gewidmet. Valeria Bruni-Tedeschi, die in Lvovskys „Oublie-moi“ mit ihrer selbstzerstörerischen Verzweiflung zwei Stunden rastlos durch Paris hetzt, die Liebe zweier Schwuler, die in Ozons Fassbinder-Verfilmung „Gouttes d’eau sur pierres brulantes“ (der im Wettbewerb der Berlinale lief) unaufhaltsam ins Sadomasochistische kippt, oder Assayas’ Helden, die sich immer wieder verzweifelt aneinander klammern, als körperliche Versicherung gegen eine nervöse, unberechenbare Welt – formal extrem unterschiedliche Filme mit einem doch irgendwie gemeinsamen Verständnis für alltägliche Abgründe, Ängste und Sehnsüchte. Natürlich gibt es auch in Frankreich die Blockbuster auf Debilen-Niveau, andererseits überlässt man die heimischen Marktanteile dann doch nicht kampflos den Katastrophenfilmen der Werners und Ottos. Paradebeispiel in diesem Jahr: „Le goût des autres“, das Regiedebut von Alain Resnais’ Drehbuchautorin Agnès Jaoui.

Ein neureicher Fabrikbesitzer verliebt sich beim Schlussmonolog von Racines „Bérénice“ in eine Amateurschauspielerin. Zarte Gefühle, die sich gegen die eigenen Ängste, eine spießige Gattin und den Kulturdünkel der Provinzkünstler behaupten müssen. Und ein vorsichtiger Liebesreigen, der vom Fabrikanten über seinen Macho-Bodyguard, eine nette Serviererin und ihre Schauspielerfreundin wieder zurück zum Fabrikanten führt. Jaouis kleine melancholische Komödie wurde zum Überraschungshit der Saison, und da der Film in Deutschland ziemlich sicher keinen Verleih finden wird, sollte man ihn beim Filmsommer keinesfalls verpassen.

Sechzig neuere französische Filme – das ergibt im besten Falle auch so etwas wie eine Info-Schau. Dass unter dem Stichwort „Cannes 2000“ jetzt in Berlin auch Filme zu sehen sind, die gerade erst auf dem Festival liefen, ist immerhin durch den Wirbel um die Filmakademie bzw. die Unterstützung der mächtigen französischen Branchenvertretung Unifrance möglich. Allein dafür lohnt sich schon ein „Kinosommer: Frankreich“, selbst wenn er das einzige Handfeste bleiben sollte, was die deutsch-französische Filmakademie als bilaterale Subventionsmaschine zustande bringt.

Bis 12. 7. in: Hackesche Höfe Filmtheater, Cinema Paris, International, Arsenal, fsk und Freiluftkino Friedrichshain

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