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Tristesse im Zockertreff

In Karlshorst zockt man zwischen Ruinen, in Mariendorf soll Wolfgang Lippert die Massen anlocken. Gut geht es weder der Trabrennbahn im Osten noch der im Westen. Fusion soll die Wende bringen

von HOLGER STRÖBEL

Schwere Wolken schieben sich über die S-Bahnlinie von Friedrichsfelde herüber, ein fieser Wind fegt den Blütenstaub aus schöneren Tagen zusammen. Das klebrige Zeug bleibt auf den roten und blauen Schalensitzen zurück. Platz nehmen will hier kaum jemand. Die meist alten Männer drängen sich lieber um Butze’s Imbiss oder den Zockertreff im Bauch der Tribüne, ziehen an der Filterlosen und starren verbissen durch die rauchgeschwängerte Luft hinter die Wett-Theke, wo die Bildschirme mit den neuesten Quoten hängen. Schließlich geht es um ihr Geld.

Geld, das hier in Karlshorst nicht allzu locker sitzt. Nicht bei den Zockern und auch nicht beim Rennverein Trabrennpark Karlshorst, bei dem seit geraumer Zeit der Insolvenzverwalter das Sagen hat. Im Vorwärts, dem alten Kiezkino gleich am Eingang der Trabrennbahn, flimmert schon lange kein Film mehr über die Leinwand. Und nun geht es auch nebenan zu Ende. Bis zum 30. Juni wird der Betrieb aufrechterhalten, dann übernehmen die Konkurrenten aus dem Westen die Zügel. Am 1. Juli wird in Karlshorst das erste Rennen unter Mariendorfer Ägide über die Bahn gehen.

„Ein Jahr mehr Zeit, und die Dinge hätten ganz anders laufen können.“ Auch Walter Engbring raucht einiges weg, allerdings mit Filter und keine Ostmarke. Der gelernte Kaufmann ist Geschäftsführer in Karlshorst. Ein Abwickler eigentlich. Das Wort gefällt ihm nicht. „Na ja, eigentlich trifft es schon zu“, gesteht er aber ein. Vor allem, seit es keine Alternative mehr gibt. Kurz vor Ostern waren sich die Mariendorfer und die Treuhandliegenschaftsgesellschaft als Eigentümerin des Karlshorster Geländes einig geworden. „Damit muss man leben“, sagt Engbring und sieht dabei doch so aus, als ob er damit überhaupt nicht leben könne – weil Wettbewerb immer gut sei, um eine Sache nach vorne zu bringen, weil Berlin groß genug sei für zwei Bahnen.

Aber vor allem seien die Probleme hausgemacht. „Seit Monaten gab es diese Übernahmegerüchte“, beklagt sich der Geschäftsführer, „da bekommst du dann eben keine Sponsoren, weil die Planungssicherheit wollen“. Was bleibt, ist die verhängnisvolle Mischung aus Charme und Tristesse eines zerbröckelnden Denkmals – Butze’s Imbiss, staubige Sitze, filterlose Kippen.

Trabrennen 2000 muss anders aussehen, meint Dimitrios Vergos: „In Karlshorst wurde doch in den letzten Jahren gerade mal 20 Mark für Farbe investiert, die Anlage ist völlig heruntergekommen“. Das Mariendorfer Pendant von Walter Engbring hat gut lachen. Ein paar Tage zuvor hatten gut 20.000 Besucher eine knappe Million Mark in die Kassen des Vereins gespült.

Die Hecken akkurat gestutzt, mit immensem Werbeaufwand brave Familien zu einem Abstecher vom Sonntagsspaziergang verführt. Dazu Ben-Hur-Rennen, Frank-Sinatra-Doubles, hübsche Hostessen und am Eingang Blumen für die Damen. Vergos’ Ideal vom Trabrennsport kommt das schon sehr nahe: „Wir wollen ein ganz normales Freizeitvergnügen für alle sein, keine Zockerveranstaltung“.

Nun ist die Spielleidenschaft in Deutschland sowieso alles andere als ausgeprägt. Während man in Großbritannien, dem Mutterland des Wettens, vor kurzem durchaus auf Geburtstag, –gewicht und Namen des Sprösslings von Premierminister Tony Blair setzen konnte, tut man sich hierzulande schwer mit dem Spiel um Geld. Das mag seine Ursachen im strikten Verbot des Wettens unter Bismarck haben, oder mit der nachkriegsbedingten Neigung, seinen Besitz nicht aufs Spiel zu setzen. Das mag sich jetzt, im Sog der Börsenhysterie, vielleicht ändern.

Tatsache ist jedoch, dass es dem Trabrennsport insgesamt nicht gut geht. Das größte Medienecho zum Thema gab es vor zwei Jahren, als Fußballprofi Mario Basler beim Prominentenrennen mittrabte. Zwar finden in Deutschland jährlich über 10.000 Rennen statt, die von insgesamt rund vier Millionen Besuchern gesehen werden. Im Schnitt sind das aber nur 400 pro Rennen. Zu wenig zum Leben. Auch für Mariendorf, wo der Umsatz im letzten Jahr im Vergleich zu 1998 um gut ein Prozent zurückging und der Schuldenberg von zwölf Millionen Mark nur durch den Verkauf eines Teilstücks der Anlage abgetragen werden konnte. Dort steht heute ein Altenheim.

Also suchen die Westberliner, seit Ende 1999 von Hermann Gerbolet (seines Zeichens Honorarkonsul von Jamaica) angeführt, ihr Heil auf drei Ebenen: Neue Kundenschichten sollen Geld in die Kassen bringen, durch die Übernahme von Karlshorst ist aus der Konkurrenz ein Monopol geworden, und schließlich setzt man große Hoffnungen in das italienische Lotto-Imperium Sisal, das Deutschland bis zum Jahre 2004 mit rund 2.500 Annahmestellen für Außenwetten bepflastern will. Von denen gibt es in Italien über 15.000, der Bärenanteil des Umsatzes wird dort – anders als in Deutschland – weit weg von den eigentlichen Rennbahnen gemacht.

Solche Aussichten hätte Walter Engbring auch gerne. Der muss sich stattdessen um den Wasserwagen kümmern. Das Vehikel, das in Karlshorst die Bahnen sprengt, um sie für die empfindlichen Pferdehufe weich zu halten, hat schon über 30 Jahre auf dem Buckel. „Im Durchschnitt ist er zweimal pro Woche kaputt“, sagt Engbring. Und wenn es nicht der Wasserwagen ist, dann eben etwas anderes.

Wie es beruflich mit ihm selbst weitergeht, steht noch in den Sternen. Ähnlich geht es dem guten Dutzend Festangestellten, die in Karlshorst arbeiten, meist schon seit Jahrzehnten. Mariendorf habe versichert, alle Mitarbeiter in deren knapp hundertköpfige Belegschaft zu übernehmen. „Aber“, so Engbring, „die Leute sind unsicher.“

Klar ist jedoch die Aufgabenverteilung zwischen Karlshorst und Mariendorf. Unter dem neuen Siegel „Berliner Trabrenn-Verein“ wird im Osten künftig hauptsächlich trainiert. Und Mariendorf selbst soll eine „Eventbahn“ werden. Wie das aussehen soll, weiß man noch nicht genau. Jedenfalls mit Ben-Hur-Rennen, hübschen Hostessen und vielleicht auch wieder mit Wolfgang Lippert als Ansager. Der Ostmoderator hat auch schon bessere Zeiten gesehen. Um während des letzten Rennens die Westberliner Omas unter ihren riesigen Strohhüten zu begeistern (und gleichzeitig den eingefleischten Zockern auf die Nerven zu gehen) reicht es aber noch.

Wie hoch seine Gage war, ist nicht bekannt. Publik wurde dagegen, dass die Mariendorfer erneut ein Stück ihres Geländes verkaufen müssen. Dort soll auf rund 12.000 Quadratmetern ein Fitness- und Freizeitcenter entstehen. Von dort wird man dann auch gut die Melodie hören können, die auf der Rennbahn kurz vor jedem Start ertönt. Es ist die von „Mission Impossible“.

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