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Tonys Bruder Jakob

Die britische Regierung kann in Chiracs Berliner Rede nichts Neues entdecken. Wenn, wäre sie aber dagegen

DUBLIN taz ■ Jacques Chirac habe es gar nicht so gemeint, glaubt die britische Regierung. „Wenn der französische Präsident sagt, es sollte in der Europäischen Gemeinschaft einen harten Kern oder zwei Klassen geben, dann können wir ihm nicht zustimmen, und andere können das auch nicht“, sagte ein Sprecher des Premierministers Tony Blair in Reaktion auf die Berliner Rede des französischen Präsidenten. „Aber wir glauben nicht, dass er das sagt.“ Im Übrigen habe man keine Probleme mit der Debatte über Europas Zukunft: „Schließlich nimmt auch Premierminister Blair daran teil.“

Chiracs Rede vor dem Berliner Bundestag habe viel mehr mit französischer Innenpolitik zu tun: Der Präsident wolle die Wähler zu Hause überzeugen, dass die französisch-deutsche Achse trotz einiger Probleme in jüngster Zeit nach wie vor intakt sei. „Das hat mit uns gar nichts zu tun“, sagte Blairs Sprecher. Chirac ziele mit seiner Rede auch darauf ab, die Befürchtungen in Paris und Bonn zu zerstreuen, dass die neuen Mitgliedsländer nach der EU-Erweiterung gemeinsam mit Großbritannien die EU „verwässern“ und zu einem loseren Bündnis machen könnten.

Die Londoner Regierung kann in der Rede jedenfalls nichts Neues entdecken: Auch bisher konnten Mitgliedsstaaten bei bestimmten Themen eng kooperieren, ohne dass alle mitmachen müssten. Beispiele dafür seien die Währungsunion, die Verteidigungspolitik und das Schengen-Abkommen. Er könne sich vorstellen, sagte Blairs Sprecher, dass Großbritannien bei der von Chirac erwähnten „Pioniergruppe“ bei der Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich dabei sein werde. Das kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die britische Regierung der EU-Regierungskonferenz in Nizza im Dezember mit Unbehagen entgegenblickt. Dort geht es um die Reform der EU-Institutionen. Blair erwartet, dass Großbritannien zu Kompromissen beim „Zwei-Klassen-Europa“ und bei der Aufhebung des Vetorechts gedrängt werden soll.

Großbritannien könnte sich in der EU-Kriechspur wiederfinden, prophezeit der politische Kommentator Ian Black – vor allem, wenn man der Währungsunion fern bleibe. Wenn die engere Zusammenarbeit erleichtert würde, so fürchtet Blair, könnten die Länder der Währungsunion Steuern und Haushaltspolitik harmonisieren, wodurch es der Labour-Regierung noch schwerer fallen würde, beim irgendwann geplanten Referendum die Wähler von den Vorteilen eines Euro-Beitritts zu überzeugen.

So missfällt Chiracs Rede der Londoner Regierung besonders, weil sie den Euro-Gegnern neue Munition liefert. Die Themen werden heute Abend zur Sprache kommen, wenn Blair mit Bundeskanzler Schröder in Berlin zusammentrifft. RALF SOTSCHECK

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