: NS-Entschädigung ohne Konsens
CDU im Rückwärtsgang I: Kurz vor der Einigung auf eine Bundesstiftung zur Entschädigung von Zwangsarbeitern fordert die Unionsfraktion maßgebliche Änderungen – und droht mit Ablehnung des Gesetzentwurfs. Umstritten ist die Rechtssicherheit
von NICOLE MASCHLER
Bis spät in die Nacht hatten die Berichterstatter der Bundestagsfraktionen am Dienstag über den Gesetzentwurf zur Entschädigungsstiftung für NS-Zwangsarbeiter diskutiert. Weil die Fassung bis zum folgenden Morgen nicht mehr aktualisiert werden konnte, verschob der Innenausschuss seine für gestern geplante Beratung auf Freitag. Doch nun meldet die Union plötzlich neuen Änderungsbedarf an.
Die Formulierung zur Rechtssicherheit für deutsche Firmen reiche nicht aus, sagte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach, gestern gegenüber der taz. Am kommenden Dienstag will die Fraktion über den Entwurf abstimmen. „Eine Reihe von Kollegen wird dem Gesetz nicht zustimmen“, prophezeit der CDU-Politiker Bosbach. Von einem fraktionsübergreifenden Gesetz, wie von Politikern aller Parteien beschworen, könnte dann keine Rede mehr sein. Die Union wollte in den Verhandlungen mit den Koalitionsfraktionen den Hinweis auf die Rechtssicherheitsgarantie der US-Regierung in der Präambel statt im Haupttext verankert sehen. Außerdem fehle ein Verweis auf die anderen Länder, in denen Klagen zu erwarten sind. Im vorläufigen Präambel-Text konnten sich die Fraktionsvertreter am Dienstag aber nur auf die allgemeine Formulierung einigen, wonach die Rechtssicherheit durch das Gesetz und das deutsch-amerikanische Abkommen ausreichend gegeben sei. Weitere Zugeständnisse an die Union lehnt Bernd Reuter, SPD-Mitglied im Innenausschuss, ab. „Einen Persilschein für alle Eventualitäten kann ich mir nicht vorstellen.“
Doch auch mit der Verteilung der Entschädigungsgelder ist die Union nicht einverstanden. Zwar sind die Ansprüche von etwa 90 Prozent der NS-Opfer über die von Bund und Wirtschaft bereitgestellten 10 Milliarden Mark abgedeckt. Für die nichtjüdischen Opfer im „Rest der Welt“ verbleiben aber ganze 540 Millionen Mark. Zu wenig, befindet die Union. Sie schlägt nun vor, die Zinseinnahmen aus den bereits eingesammelten 3 Milliarden Mark heranzuziehen. Mögliche Nachbesserungen seien ohnehin eingeplant, hält SPD-Innenexperte Reuter entgegen. Eine neue Verteilungsdiskussion lehnt er ab. Warum, so sein Vorwurf, komme die Union erst jetzt mit Änderungswünschen?
Am Zeitplan gibt es laut Reuter nichts mehr zu rütteln, damit noch in diesem Jahr ausgezahlt werden kann. Für den Obstruktionskurs der Opposition hat Reuter nur eine Erklärung: „Ich habe den Eindruck, dass denen die ganze Richtung nicht passt.“ Die Union wolle offenbar einen Schlussstrich unter die Entschädigungsfrage ziehen. „Das halte ich für völlig verfehlt.“
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