themenläden und andere clubs: Von wegen „after work“: Die Ausgehgesellschaft trifft sich bevorzugt in Arbeitsclubs
Gesellenstück im Ex und Pop
Die neueste, viel diskutierte moderne Freizeitverirrung heißt bekanntlich „After Work Club“. Das sind künstlich ins Leben gerufene, frühabendliche Weggehveranstaltungen für die Zielgruppe Mensch, die eine tolle Karriere im Büro mit gemütlichem Bohemedasein und krassem Nachtleben zusammenbringen will.
Dass sich diese Clubs nicht richtig durchsetzen können, versteht sich von selbst. Denn ein Nach-der-Arbeit-Club ist ein Paradoxon (kein Oxymoron!) an sich: Ausgehen ist nämlich Arbeit, und ein Nach-der-Arbeit-Club würde wörtlich genommen nur die Bewegung des Heimwegs verorten (nach Kissingen und Bettingen, wie man in manchen Gegenden zu sagen pflegt).
Viel älter und auch näher dran am Leben sind dagegen die „Arbeitsclubs“. Sie entstanden wie vieles Sinnvolles in den Achtzigerjahren in Berlin. Wie jeder weiß, wohnten damals nur zugezogene Drogensüchtige, Hausbesetzer, Wehrdienstflüchtlinge und Autonome in der Stadt. Echte Berliner gab es nur bei der Polizei, der BVG und beim Arbeitsamt. Das Leben war ein Fest, und Geld gab’s in Hülle und Fülle. Die fotokopierte Broschüre „Lieber krankfeiern statt gesundschuften“ erschien in vierzehnter Auflage. Die türkische Bevölkerung hielt den Laden versorgungstechnisch am Laufen. Damals entstand, recht organisch, das Phänomen „Arbeitsclub“ .
Die Älteren erinnern sich heute noch gerne an die harten Jahre der Ausbildung im Ex und Pop und im Risiko: an das stundenlange Übersehenwerden von Szenebarkeepern und wochenlange Ignoriertwerden von der lustigen Clique im Drogenraum. Ja, Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Aber auch die Zeiten gingen vorbei, man arbeitete sich hoch und gehörte irgendwann einmal dazu.
Als Mitglied der Ausgehgesellschaft war man nun verpflichtet, ein gewisses Arbeitspensum, eine Clubfrequentierungsfrequenz aufrechtzuerhalten. Auch wenn es einem manchmal sauer aufstieß, die gemütliche Wohnung zu verlassen und die weiten Wege auf sich zu nehmen – es musste sein, irgendjemand musste es ja machen.
Wie bei der rhythmischen Sportgymnastik oder am Reck ist es auch im „Arbeitsclub“: Was so leicht und beschwingt, ja fast spielerisch wirkt und nach Freizeit aussieht – das zwanglose Rumstehen und Reden mit einem Getränk in der einen Hand und der Zigarette locker in der anderen - , das alles setzt große Hingabe und ozeanisches Durchhaltevermögen voraus.
Zusätzliche schwer kalkulierbare Faktoren erschweren den Arbeitsalltag. Ist es leer im „Arbeitsclub“, wird es leicht eintönig, und je nach Langweiligkeitsgrad und Sprödigkeit des Gegenübers bleibt die ganze Konversationsdreckarbeit an einem selbst hängen.
Ist es nicht gedrängelt voll, gibt es auch keinen Grund, mit jemanden zu reden. Da heißt es, alte Kulturtechniken anwenden: Naht ein unerwünschter Gesprächspartner, muss man mit starrem und gleichzeitig traumverlorenem Blick einen imaginären Punkt solange fixieren, bis sich die herannahende Nervensäge anderen Opfern zuwendet.
Sind zu viele Bekannte versammelt, wird das Ausgehen zur Schwerstarbeit. Wohin zuerst? Mit wem zuerst reden? Bestellt werden muss auch, und aufs Klo, und wer hat Zigaretten? Und wer hat vielleicht sonst noch was? Da heißt es kühlen Kopf zu bewahren. Nebenbei müssen mühsam Rauschwerte angesammelt und kultiviert werden. Ein falsches Gespräch oder Musikstück können schlagartig alles zerstören.
Es wird einem also nichts geschenkt im „Arbeitsclub“. Aber wie bei allen ehrenamtlichen Tätigkeiten ist auch hier der Gewinn ein ideeler. So ist und bleibt der „Arbeitsclub“ ein ewiges Lavieren zwischen Laissez-faire und Savoir-vivre, zwischen pourqoui pas und rien ne va plus Und manchmal gibt es ein kleines Déjâ-vu.
CHRISTIANE ROESINGER
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