: Eine Societät in Teutschland
Morgen feiert die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften ihren 300. Geburtstag. Als Gegenmodell zu den Unis gegründet, könnte sie heute ohne die Hochschulen nicht existieren
von RALPH BOLLMANN
Die Universitäten, darin stimmten viele Gelehrte überein, waren am Ende. Die Universitäten seien „für die Tugend und Zufriedenheit der Menschen so gefährlich“ wie „der Sitz der Pest für ihr Leben“, schrieb der bekannte Pädagoge Christian Gotthilf Salzmann. Wie Salzmann verachteten viele Geistesgrößen des 17. und 18. Jahrhunderts, von Leibniz bis Lessing, „die Tätigkeit an einer angeblich absterbenden Einrichtung wie der Universität“, wie es der Historiker Hans-Ulrich Wehler formulierte.
Ganz auf sich allein gestellt wollte indes auch der größte dieser Größen nicht forschen, der Universalgelehrte Gottfried Wilhelm Leibniz. Bei Aufenthalten in Paris und London hatte er neidvoll mit ansehen müssen, wie die europäischen Kollegen regelmäßig an einem festen Ort über ihre neuesten Gedanken parlierten. Das Ganze nannte sich „Akademie“, und Leibniz wollte es in seiner Heimat nicht missen. Fortan warb er für die „Aufrichtung einer Societät in Teutschland“.
Lange musste sich der Gelehrte gedulden, bis der brandenburgische Kurfürst Friedrich III. – der spätere König Friedrich I. – seinen Wunsch erfüllte: Am 11. Juli 1700 unterzeichnete der Landesherr den Stiftungsbrief der Kurfürstlich Brandenburgischen Sozietät der Wissenschaften. Aus Termingründen feiert die Akademie ihren 300. Geburtstag schon zehn Tage früher und lädt am morgigen Samstag zum Festakt ins Schauspielhaus am Berliner Gendarmenmarkt.
Leibniz selbst verlor die Festlaune schnell. Vom Monarchen nicht ausreichend unterstützt, dümpelte die Neugründung dahin. Leibniz begann, mit anderen Monarchen über sein Akademieprojekt zu verhandeln. Ein halbes Jahrhundert nach ihrer Gründung nahm die „Académie Royale des Sciences et Belles-Lettres“ unter dem frankophilen Preußenkönig Friedrich II. zwar einen ersten Aufschwung, am Grundproblem aber änderte sich nichts: Die Universitäten behaupteten ihre zentrale Rolle im Wissenschaftsbetrieb, und ohne eine Hohe Schule vor Ort konnte die Akademie kaum einen Gelehrten nach Berlin ziehen.
Erst mit der Gründung der heutigen Humboldt-Universität 1810 wendete sich das Blatt. Die Akademie war fortan nicht mehr Gegenmodell, sondern Ergänzung zur Hochschule. Es waren fast ausschließlich Professoren der benachbarten Universität, die sich im Akademiegebäude Unter den Linden austauschten.
Erst den Nazis gelang es, den Weltruf der „Preußischen Akademie“ zu ruinieren, die ein Albert Einstein im März 1933 verließ. Die sowjetischen Besatzer, die die Traditionseinrichtung nach dem Weltkrieg wieder eröffneten, hatten sie als Tabula rasa vorgefunden. In der DDR machte der Bruch mit den überkommenen Traditionen einen Schritt möglich, der in gewisser Weise an Leibniz’ Gründungsidee erinnerte: Die Universitäten sollten sich auf die Lehre konzentrieren, während ein großer Teil der Forschung auf die Akademie verlagert wurde. Als die Mauer fiel, zählte das Großforschungskombinat 24.000 Mitarbeiter.
Mit der Bundesrepublik kehrte das alte deutsche Wissenschaftssystem zurück, in dem ein solcher Koloss keinen Platz mehr hatte. Da half es nichts, dass auch westdeutsche Kollegen beschworen, an der DDR-Akademie sei „nicht alles schlecht“ gewesen. Einige „Langzeitprojekte“ sind vom Konzept der „Arbeitsakademie“ übrig geblieben, ansonsten ist die nach der Wende neu gegründete „Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften“ eine Gelehrtengesellschaft alten Stils. Ihre Mitglieder werden von den Universitäten bezahlt, nicht von der Akademie. Wenn das Leibniz wüsste!
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