: Kronzeuge auf freiem Fuß
Tarek Mousli, der Hauptzeuge bei den Ermittlungen gegen die Revolutionären Zellen, wurde bereits Ende April von der Bundesanwaltschaft freigelassen. Noch im Sommer soll der Prozess beginnen
von WOLF-DIETER VOGEL
Die Belohnung kam schnell: Kronzeuge Tarek Mousli ist auf freiem Fuß. Bereits Ende April konnte der 41-Jährige das Untersuchungsgefängnis verlassen. Nach Informationen der taz soll noch im Sommer der Prozess gegen den Berliner Kampfsportlehrer beginnen.
Mousli war nach eigenen Angaben in den Achtzigerjahren bei den Revolutionären Zellen (RZ) organisiert. Spätestens seit er deshalb im November 1999 verhaftet wurde, plaudert er ausführlich aus dem Innenleben der militanten Gruppe sowie der Kreuzberger Szene. Die Folgen: Fünf Personen sitzen in Untersuchungshaft, das alternative Kulturzentrum Mehringhof wurde zweimal durchsucht, zahlreiche Linke müssen damit rechnen, dass Mousli den Ermittlern mehr oder weniger wahre Geschichtchen aus alten gemeinsamen Zeiten berichtet. Die sechs Beschuldigten sollen sich in den Achtzigerjahren als Mitglieder einer Berliner Gruppe der RZ unter anderem an Aktionen gegen die deutsche Asylpolitik beteiligt haben. Gegen Lothar E., der Mitte der Neunziger nach Kanada ausgewandert ist, läuft zurzeit das Auslieferungsverfahren vor den kanadischen Behörden. Er wurde jüngst nach Zahlung einer Kaution von etwa 150.000 Mark aus dem Gefängnis entlassen.
Silke Studzinsky, die Verteidigerin des im Dezember verhafteten Harald G., hofft, dass sich Mouslis Freilassung positiv auf die U-Haftdauer der anderen Gefangenen auswirkt. Zwar sei der Kronzeuge wegen seiner Geständnisse und Beschuldigungen freigelassen worden, doch immerhin werde ihm Rädelsführerschaft in den RZ vorgeworfen – eine Beschuldigung, bei der das Strafgesetzbuch eine Mindeststrafe von drei Jahren vorsieht. Als „eklatante Ungleichbehandlung“ bezeichnet Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck die Freilassung von Mousli. Erst kürzlich lehnten die Behörden eine Haftbeschwerde seines Mandanten Matthias B. ab. Dass der Prozess gegen Mousli möglicherweise bald beginnt, hält Kaleck für „hochproblematisch“. So würden fragwürdige Kronzeugen-Aussagen ohne ausführliche Beweisaufnahme hingenommen und legitimiert, die später in den anderen RZ-Verfahren von Bedeutung sein könnten.
Bei der Bundesanwaltschaft hält man sich derweil bedeckt. Behörden-Sprecherin Eva Schübel wollte weder bestätigen noch dementieren, dass Mousli noch im Sommer vor Gericht stehen wird. „Zunächst muss Anklage erhoben werden.“ Warum die Freilassung des Kronzeugen geheim gehalten wurde? Wo er sich aufhält? Keine Angaben. Da der 41-Jährige jedoch erste Aussagen gegen seine angeblichen Ex-Genossen und -Genossinnen noch vor Jahresende 1999 gemacht hat, kann er auf die mittlerweile ausgelaufene Kronzeugenregelung setzen. Und damit auf ein Zeugenschutzprogramm, das ihm finanzielle Garantien und eine neue Identität verspricht.
Dennoch wird Mousli nach Aussagen Schübels wohl persönlich vor Gericht erscheinen müssen, wenn gegen die anderen Beschuldigten verhandelt wird. Damit würden sich zumindest Befürchtungen von Anwälten und Unterstützern der anderen RZ-Gefangenen nicht bestätigen, nach denen der Kronzeuge zur Vernehmung lediglich via Videokonferenz zugeschaltet wird. Dabei hat Mousli mittlerweile Erfahrung im Umgang mit Bildschirm und Kamera: Als Beamte des Bundeskriminalamtes am 30. Mai den Mehringhof nach Sprengstoffresten durchsuchten, war er über Video-Liveschaltung mit dabei und dirigierte die Fahnder vor Ort. Allerdings nicht aus dem Untersuchungsgefängnis, wie die BAW verlauten ließ. Da befand er sich schon auf freiem Fuß.
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