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Endstation: Honeckers Gästehaus

Wo früher Besucher der DDR-Regierung logierten, warten heute Flüchtlinge auf ihre Ausreise: Berlin-Schönefeld ist Deutschlands zweitgrößter Flughafen für Abschiebungen. Jährlich treten rund 6.000 Flüchtlinge den unfreiwilligen Rückflug an

von JULIA NAUMANN

Auf der Anzeigetafel blinkt schon das Check-in-Zeichen: 11.55 Uhr, Flug RO 312 nach Bukarest. Die Fluggesellschaft Tarom fliegt dreimal pro Woche vom Flughafen Berlin-Schönefeld in die rumänische Hauptstadt. Am gestrigen Freitag waren 11 Passagiere keine normalen Fluggäste. Sie wurden aus Deutschland abgeschoben. Viele von ihnen zum wiederholten Mal.

Von keinem anderen deutschen Flughafen außer Frankfurt werden so viele Menschen abgeschoben wie vom alten Ostberliner Airport Schönefeld, wo noch immer viele Maschinen nach Osteuropa starten. Im vergangenen Jahr traten hier 6.300 Flüchtlinge die unfreiwillige Heimreise an, die meisten von ihnen nach Bulgarien, nach Rumänien oder in die Ukraine.

Die übrigen Fluggäste bekommen von den Abschiebungen kaum etwas mit. Die „Abschüblinge“, wie Polizei und BGS im nüchternen Amtsjargon sagen, werden aus den Abschiebegefängnissen in Berlin, Brandenburg und Sachsen von Mitarbeitern der jeweiligen Ausländerbehörde nach Schönefeld gebracht. Dort werden sie dem Bundesgrenzschutz (BGS) übergeben.

Der residiert in einem hochherrschaftlichen Gebäude in der Nähe des Rollfelds. Das Haus diente einst als Übernachtungsmöglichkeit für russische Generäle, die nach Moskau flogen. Später logierten hier Gäste der DDR-Regierung. Heute ist ein Großteil der Zimmer zu Zellen umgebaut worden.

Gestern war es ruhig auf den Fluren des BGS. Nur einige zerschlissene Plastiktüten und ein paar verschnürte Bündel weisen in der Eingangshalle darauf hin, dass sich hier Menschen aufhalten, die auf ihren Abflug warten.

Die Fenster der geräumigen Zellen sind vergittert. In der Mitte des Raumes stehen lange, in den Boden eingelassene Holzbänke. Wartende haben Sprüche und Kosewörter hineingeritzt.

In einer Zelle sitzt ein 52-jähriger Rumäne und schaut aus dem Fenster. Er läuft auf Krücken, ihm fehlt ein Unterschenkel. Neben ihm liegt eine zerfledderte Bibel. Der Mann hat dunkle Ränder unter den Augen – vergangene Nacht wurde er aus einem Gefängnis im sächsischen Bautzen nach Schönefeld transportiert. Acht Monate hatte er in Bautzen eingesessen – weil er keine gültigen Dokumente besaß. In gebrochenen Deutsch sagt er, dass er nach Deutschland gekommen sei, um eine Prothese zu organisieren. Er habe große Schmerzen. Auf die Frage, ob er Angst habe, zurückzukehren, zuckt er nur mitden Schultern. Der Rumäne hat die Abschiebeprozdeur bereits mehrere Male durchlaufen. 1993 ist er das erste Mal nach Deutschland gekommen.

„Die überwiegende Mehrzahl der Abzuschiebenden verhält sich ruhig“, sagt Ralf Pistor, Polizeioberrat beim Bundesgrenzschutz. Die meisten Flüchtlinge würden sich „überhaupt nicht“ wehren, wenn sie in die Zellen und dann von den BGS-Beamten zu den Flugzeugen gebracht werden. Eine kleine Gruppe von etwa 5 bis 10 Prozent sei allerdings „schwerstrenitent“. In diesen Fällen müssten die Beamten zu Handfesseln aus Plastik greifen, im Ausnahmefall auch zu Fußfesseln. Knebel für den Mund seien jedoch noch nie verwandt worden, versichert Pistor.

Bis zum Tod des Nigerianers Aamir Ageeb im vergangenen Jahr wurden den Flüchtlingen „in einigen wenigen Fällen“ Motorradhelme aufgesetzt. „Einige schlugen mit dem Kopf gegen die Wand oder gegen die Ecken der Bänke“, sagt Pistor zur Begründung. Sie hätten vor sich selbst geschützt werden müssen. Der BGS hat vom Innenministerium die Anweisung bekommen, vorerst keine Helme mehr zu benutzen. Das Ministerium prüft jedoch derzeit einen neuen Spezialhelm.

Der Rumäne flog gestern ohne Begleitung von BGS-Beamten nach Bukarest. Zeigen sichFlüchtlinge aber widerspenstig, werden sie von BGS-Beamten begleitet. Doch die Entscheidung, ob der Abzuschiebende tatsächlich mitfliegt, liegt beim Piloten. Er allein hat an Bord der Maschine die hoheitlichen Rechte. Nach Angaben Pistors verweigerten jährlich rund 100 Piloten die Mitnahme. Dann bleibt dem BGS nichts anderes übrig, als den Abzuschiebenden wieder der Ausländerpolizei zu übergeben. So zum Beispiel Atef B. aus Tunesien. Er sollte bereits fünfmal abgeschoben werden. Der 24-Jährige wehrte sich so sehr, dass er jedes Mal ins Abschiebegefängnis zurückgebracht werden musste. Gegenüber dem migrationspolitischen Sprecher der Berliner Grünen gab er an, dass ihm auf dem Weg nach Schönefeld mit einem nassen Lappen der Mund zugehalten wurde. Die Beamten hätten ihn als „Arschloch“ und „Scheißislamisten“ bezeichnet.

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