: Eine eigene Hülle für die irische Musik
In Dublin gibt es neuerdings ein spezielles Museum für irische Musik. Historisch nicht immer exakt, aber voller Charme stellt es die eigenständige musikalische Tradition der Insel aus – multimedial, interaktiv und kinderfreundlich
Am Smithfield Square am Rand der Dubliner Innenstadt: Auf dem Schornstein der alten Wiskeybrennerei an der Ostseite des Platzes sitzt seit letztem Jahr eine Kuppel, die mit einem gläsernen Fahrstuhl zu erreichen ist. Es ist Dublins höchster Aussichtsturm, man kann bis zu den Bergen im Süden und den schäbigen Hochhäusern von Ballymun im Norden blicken.
Unten auf dem Platz gibt es immer noch den traditionellen Pferdemarkt. Noch duldet man ihn, obwohl der Marktplatz sein Gesicht verändert hat. Smithfield, früher das Kleine-Leute-Viertel mit schmalen Gassen und Backsteinhäuschen, ist – dank des irischen Wirtschaftswunders – Dublins neuestes Sanierungsviertel. Der Smithfield Square hat ein neues Kopfsteinpflaster und moderne Bogenlampen bekommen. Zwar stehen an der Westseite noch die alten Lagerhallen, in denen billiges Obst und Gemüse verkauft wird, doch gegenüber, auf dem gut einen halben Hektar großen Gelände der ehemaligen Whiskey-Brennerei, ist eine andere Welt entstanden: „Smithfield Village“ mit dem Aussichtsturm, einem Hotel, einer Einkaufspassage, einem thailändischen Restaurant, gut 200 Apartments und, als Kernstück, „Ceol – The Traditional Music Centre“.
Ceol, das irische Wort für Musik, ist mehr als ein Museum, es ist „das Fest einer lebendigen Tradition“, ein interaktives Musikerlebnis, wie der Investor Terry Devey verspricht. Er hat 60 Millionen Pfund ausgegeben, um moderne Bauelemente aus Stahl und Glas mit dem alten Backsteingebäude der Brennerei zu verbinden. Von der Lobby des Hotels betritt man Ceol durch einen dunklen Raum, die „Garderobe“, in dem Figuren aus Kunstharz ihre Jacken und Mützen an Wandhaken aufhängen. Auf die Wand sind Filme von jungen Musikern projiziert. Das Ensemble symbolisiert die musikalische Tradition, die von Mensch zu Mensch und von Generation zu Generation weitergegeben wird.
Im Hauptraum wird an fünf interaktiven Bildschirmen die Geschichte der irischen Musik erzählt, die eng mit der Geschichte des Landes verknüpft ist. In der keltischen Gesellschaft hatten die File, die Hofpoeten, eine hohe soziale Stellung. Die Harfner, die für die Begleitung der Gedichte sorgten, machten Kunstmusik, eine Musik für die Oberschicht. Mit der zunehmenden Anglisierung Irlands begann der Niedergang der Harfner, mit dem Ende der gälischen Zivilisation Mitte des 17. Jahrhunderts war ihr Schicksal besiegelt. Die Barden, die bis dahin eine untergeordnete Rolle gespielt hatten, schrieben nun eigene Lieder und Gedichte. Ihr Publikum kam, wie sie selbst, aus der Unterschicht. Doch die Hungersnot Mitte des 19. Jahrhunderts machte ihrer Musik ein Ende, auch wenn im Museum der Eindruck erweckt wird, dass es gerade die Ärmsten waren, die stets die Tradition gepflegt haben. In einer Zeit, in der die Bevölkerung durch Hungertod und Auswanderung um die Hälfte dezimiert wurde, stand aber niemandem der Sinn nach Musik.
Beschönigt ist im „Ceol“ auch die Entwicklung der irischen Musik nach der Unabhängigkeit 1922. Waren den englischen Besatzern die Traditionen als Ausdruck des Nationalbewusstseins suspekt, so verordnete die Regierung des jungen Freistaates ihrer Bevölkerung eine „irische Identität“. Sie legte fest, welche Tänze, Lieder und Gesangstile „unirisch“ waren und verbot sie kurzerhand.
In den Vierzigerjahren interessierte sich kaum noch jemand für irische Musik, erst mit der Folk-Welle in den USA, ausgelöst durch Woodie Guthrie, entstanden in Boston und New York Balladengruppen irischer Emigranten, die über diesen Umweg der Musik in ihrer alten Heimat zur ihrer Wiederauferstehung verhalfen.
Die anderen Räume von Ceol sind den Liedern und Instrumenten gewidmet: Bei einer „virtuellen Session“ von stilisierten Metallfiguren mit Bildschirmköpfen kann man zwischen verschiedenen Songs wählen, im Instrumentenraum läuft ein traditionelles Stück vom Band. Tritt man an ein Instrument heran, werden die anderen Instrumente ausgeblendet. Im oberen Stockwerk findet man schließlich auch den „Flusstanz“, das überstrapazierte Tanzspektakel „Riverdance“. Auf einer Tanzfläche zwischen zwei Videowänden können Besucher es selbst probieren, bevor sie sich im 180-Grad-Panoramakino auf eine musikalische Reise durch Irland begeben.
Für Kinder ist ein kleiner Nebenraum eingerichtet, wo sie selbst Musik machen können. Sie wählen an einem Computer ein Instrument, und wenn sie dann auf die im Boden eingelassenen erleuchteten Glaskacheln treten, entsteht ein Ton. Durch Hin- und Herspringen auf den verschiedenen Kacheln lässt sich eine Melodie spielen. Die jungen Besucher sind dementsprechend begeistert. RALF SOTSCHECK
Ceol – The Irish Traditional Music Centre, Smithfield Village, Dublin 7, Tel. (01) 8 17 38 20. Geöffnet täglich außer Karfreitag und 25. 12. von 9.30 bis 18.30 Uhr, sonntags von 10.30 bis 18.30 Uhr. Eintritt 3,50 Pfund
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