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Der Stuhl ist hart

Bücherkultur, bundesrepublikanisch: Der Suhrkamp Verlag wird fünfzig. Noch immer gilt der Verleger Siegfried Unseld seinen Angestellten als Patriarch alter Schule – auch wenn sich das Unternehmen mehr an der neuen Marktsituation orientieren muss

von DIRK KNIPPHALS

Markenprodukte sind Waren, bei denen jeder sofort ein Bild im Kopf hat. Man kauft nicht allein das Produkt, sondern zugleich auch das Image, die Firma, das Logo. Man ist bereit, ein bisschen mehr zu zahlen, und erwartet dafür Qualität. Beim Erwerb eines Markenprodukts möchte man einen fairen Tausch Geld gegen Ware eingehen. Aber nicht nur das. Man sucht auch nach der kleinen Heimat, nach ein wenig Orientierung in der Welt. Come together where the flavour is.

Wer nun – warum denn eigentlich auch nicht? – in unserer intellektuellen Landschaft nach Markenprodukten Ausschau hält, wird sowieso nicht viele finden. Und wenn, dann eher bei Zeitungen (FAZ, Zeit) oder auch Zeitschriften (Merkur, Lettre, Kursbuch); da weiß man, was man hat. Aber bei Verlagen?

Da fällt einem eigentlich nur ein wirklicher Markenname ein. Der Chef im intellektuellen Ring der Bundesrepublik für vierzig Jahre und entgegen anders lautenden Gerüchten auch als wankender Riese in den Neunzigerjahren von einer geistigen Lebendigkeit und Breitenwirkung (wenn auch nicht mehr auf allen Gebieten), an die die anderen Häuser auch zu ihren Hochzeiten nicht herankommen. „Andere Verlage haben unbemerkt ganze Programme eingestampft“, wunderte sich Jürgen Habermas kürzlich in einer Würdigung des Suhrkamp-Verlegers Siegfried Unseld, „aber Programmverschiebungen im Hause Unseld bewegen die Nation.“

Das mag nun wieder ironisch übertrieben sein, aber andererseits: In jedem denkenden Kopf hierzulande steckt ein wenig Suhrkamp. Und auch wenn ihnen im Verlagshaus in der Frankfurter Lindenstraße 29–35 diese Formulierung zu unernst erscheinen wird: Suhrkamp gehört zur Bundesrepublik wie Adidas-Turnschuhe, Nivea-Creme und Tempo-Taschentücher. Eine Markenfirma eben, die Markenprodukte herstellt: die weltberühmte „suhrkamp culture“ (so der Denker George Steiner, als Zitat immer wieder gern genommen) und die hierzulande ebenso berühmten Suhrkamp-Bücher.

Moment. Firma, Produkte: Über solche ökonomischen Vokabeln in der Gesellschaft der Autoren, wie Siegfried Unseld seinen Verlag gerne sieht, wird noch zu reden sein. Vorerst aber gilt es, den Anlass zu klären; er ist – natürlich – zunächst einmal ein rein äußerlicher: Am 1. Juli 1950 nahm der unter Peter Suhrkamp aus dem S. Fischer Verlag hervorgegangene Suhrkamp Verlag seine Arbeit auf, er feiert mithin – Tusch – heute seinen 50. Geburtstag. Ein Pflichttermin also, könnte man denken, und darüber könnte man viele hübsche Anekdoten aus der Verlagsgeschichte erzählen, die mit der literarischen und diskurstheoretischen Geschichte unseres Landes wesentlich verbunden ist.

Es ist ja in der Tat mehr als erstaunlich und eine ganz besondere Leistung, wie sich Siegfried Unseld seit seiner Inthronisation (es gibt nicht viele Verleger, bei dem einem so ein Wort einfällt!) im Jahre 1959 immer die avanciertesten Namen und Peergroups verpflichten konnte, als Autoren sowie als Mitarbeiter. Der Suhrkamp Verlag war ziemlich oft da, wo vorne war; und der Einsatz, den Siegfried Unseld dafür zu zahlen bereit war, war hoch: Systematisch verwechselte er Literatur und Leben, wurde den Autoren ein Freund, den Mitarbeitern der Patriarch, als den ihn alle Verlagsangestellten, die man trifft, beschreiben (allerdings nie ohne hinzuzufügen „ein Patriarch im guten Sinne“), und modellierte seine Persönlichkeit zu dem Bilderbuchverleger, der er wohl auch wirklich ist.

Wer wie unsereiner in den Siebzigerjahren zur Schule ging und in den Achtzigern studierte, für den steckten Suhrkamp-Bücher den zeitgenössischen Horizont ab: Im Deutschunterricht Frisch, Walser, Johnson und als Gegengift – damals noch – Peter Handke; an der Uni dann all die schönen Debatten. Habermas gegen Luhmann, Foucault gegen Habermas, die deutschen Humanisten gegen die französischen Poststrukturalisten und alles rund um Adorno und Benjamin sowieso. Alles drin, alles dran – mit Suhrkamp im Gepäck konnte man immer mitreden. Es sei denn, man verschrieb sich sektiererisch vollkommen den neuen Franzosen, dann musste man noch Merve und den Passagen Verlag hinzuziehen.

Man sieht schon: Diese Beschreibung kommt in eine Schieflage – von der Literatur der Fünfziger- und Sechzigerjahre springt sie in den Theoriediskurs der Siebziger und Achtziger. Das verweist auf ein Problem, das das Haus Suhrkamp auch über den äußeren Anlass hinaus interessant macht: Zumindest auf einem Kerngebiet, dem der Literatur, herrscht Suhrkamp nicht mehr unangefochten – stellenweise hat es sogar den Anschluss verpasst –, und es ist schon interessant zu sehen, wie das Haus vor dem Hintergrund der allgemeinen Verlagskrise mit dieser Situation umgeht. Zudem lässt sich hier wie an der Quelle studieren, wie so ein Generationswechsel in der Verlagsbranche – heikel, heikel – vor sich geht.

Suhrkamp heute, das ist nicht nur ein Berg von Büchern (12.711 wurden insgesamt publiziert, unglaubliche 6.554 Titel sind derzeit lieferbar) und eine ehrbare, über Strecken sogar glänzende Geschichte. Suhrkamp ist auch ein Ort der aktuellen symbolischen Kämpfe.

Wer ihnen nachspüren will, kann in eine gute Buchhandlung gehen und sich die beiden aktuellen Verlagsprogramms zeigen lassen: das für das Jubiläumsprogramm (Suhrkamp feiert sich zum Geburtstag natürlich nicht selbst, Suhrkamp feiert seine Autoren und vermittelt sich nur darüber selbst) und das normale Herbstprogramm. Ein Vergleich der Titelbilder zeigt, worum es bei den Veränderungen geht, die Suhrkamp gerade unternimmt, um zeitgemäß zu bleiben bzw. es wieder zu werden: Es geht um jeden einzelnen Zentimeter.

Beim Cover des Jubiläumsprogramms hatte Siegfried Unseld die Federführung, in gediegenem Blau prunkt der Name Suhrkamp schön lesbar auf der Titelseite. Beim Herbstprogramm aber setzte Christoph Buchwald sich durch; der Suhrkamp-Schriftzug ist genauso gediegen blau, aber er scheint die Titelseite zu sprengen, dynamisch schneiden die Seitenränder ein, zwei Zentimeter des S und des p weg – die Veränderungen in diesem Hause vollziehen sich im Ringen um das geringste Detail. Christoph Buchwald, Jahrgang 1951, ist seit März 1998 bei Suhrkamp und zusammen mit dem Taschenbuchchef Günter Berg der Grund dafür, dass man Siegfried Unseld doch nicht den vorzeitigen Verschleiß aller seiner Kronprinzen nachsagen kann. Vor Buchwald hatten sich bereits Gottfried Honnefelder, Joachim Unseld und der Wallstein-Verleger Thedel von Wallmoden auf diese Rolle vorbereitet; in allen drei Fällen endete das in einer Trennung, im Falle des Sohnes Joachim Unseld sogar in einem tiefen Zerwürfnis.

Christoph Buchwald aber scheint so sicher im Sattel zu sitzen, wie das jemand unter Unseld bei Suhrkamp nur kann, auch wenn das Stiftungsmodell, in das der Verlag nach dem Ausscheiden des inzwischen 75-jährigen Unseld übergehen soll, nicht rechtzeitig zum Jubiläum unter Dach und Fach gebracht wurde. Ein vierköpfiges Leitungsteam, darunter Buchwald und Berg, soll eines Tages auch bei Suhrkamp den Abschied vom Ein-Verlag-ein-Verleger-Modell vollziehen und den Verlag leiten. Ein Aufsichtsrat, in dem unter anderem Hans Magnus Enzensberger sitzt, wird darüber wachen, dass Suhrkamp auch dann noch Suhrkamp bleibt. Wenn man mit Christoph Buchwald in dessen Büro sitzt – wie eigentlich im ganzen Suhrkamp-Haus die Wände voller Bücher – und über den Verlag spricht, bekommt man sehr schnell den Eindruck eines sehr gegenwärtigen Menschen. Und bald auch das Gefühl, dass man immerhin doch schon mal ein wenig trennen sollte zwischen der Selbstdarstellung des Verlags, die jetzt zum Jubiläum doch etwas Rückwärtsgewandtes hat – aus der stets spottbereiten Branche ist das Wort von den Unseld-Festspielen zu hören –, und dem, was der Verlag tatsächlich eben auch macht.

Buchwald jedenfalls vermag mit großer Emphase von seiner Vergangenheit, damals in den linken Kreisen Berlins, zu erzählen, als Suhrkamp-Bücher zum Grundnahrungsmittel gehörten. „Sein Leiden an den Verhältnissen, das fand man in Suhrkamp-Büchern wieder“, sagt Buchwald. Mit noch mehr Leidenschaft betont er allerdings, dass es nun natürlich nicht nur zur Aufgabe des Verlags gehört, die Vergangenheit zu konservieren, sondern den damaligen Impuls unter veränderten Bedingungen auch in der heutigen Zeit umzusetzen. Der Suhrkamp-Verlag hat sich stets als Debattenverlag über seine Wirkung im öffentlichen Diskurs definiert; diesen Gegenwartspol wieder zu besetzen, daran arbeitet Christoph Buchwald.

Nur eine Absichtserklärung, gewiss; und wie zu sehen war, geht die Arbeit nur in Zentimeterschritten voran. Und ganz ohne Rückschläge geht es auch nicht zu. Marcel Beyer bringt sein nächstes Buch bei DuMont heraus. Und Michel Houellebecqs Roman „Elementarteilchen“ hätte von seiner debattengenerierenden Kraft her Suhrkamp unbedingt gut zu Gesicht gestanden. Doch, wie zu hören ist, gab Unseld Order, nur mit bis zu 40.000 Mark beim Vorschusspoker mitzubieten, und so erschien das Buch eben auch im DuMont-Verlag, angekauft vom ehemaligen Suhrkamp-Lektor Christian Döring. Tja. Es gibt aber auch Anzeichen, dass der Tanker Suhrkamp sich bewegt. Mit dem Briten Magnus Mills („Die Herren der Zäune“) und dem Amerikaner Tristan Egolfs („Monument für John Kaltenbrunner“) hat der Verlag zum Beispiel zwei junge Angelsachsen im Programm, auf die Christoph Buchwald große Stücke hält.

Dann sagt Buchwald noch etwas. Vor dem Umzug nach Frankfurt hat er in München beim Hanser und danach beim Luchterhand Verlag gearbeitet. Es gibt, sagt Buchwald, in München die Buchhandlung Lehmkuhl. In der Buchhandlung gibt es einen Flügel. Auf dem Flügel stehen immer die aktuellen Bestseller. Er möchte es schaffen, sagt Buchwald, immer mindestens mit einem Suhrkamp-Buch auf diesem Flügel vertreten zu sein. Was man bei jedem anderen Verlag als Business Talk an sich vorbeirauschen lassen würde, im Hause Suhrkamp wirkt es wie eine Sensation. Denn es bedeutet, dass sich Suhrkamp eben auch definieren muss, soll und wird als ein Verlag wie jeder andere: als eine Firma, die Bücher herstellt und sich damit auf den Markt begibt. Und die Konkurrenz schläft nicht. Die anderen Verlage leisten auch gute Arbeit – nur hat man Siegfried Unseld je über einen anderen Verlag reden hören?

Aber ein Verlag wie jeder andere kann der Suhrkamp Verlag dann wohl nie werden, dafür sorgt schon die Geschichte. Wie um die Gegenwärtigkeit des Vergangenen zu demonstrieren, kommen wir im Verlauf unseres Besuchs in Frankfurt auf einen alten Stuhl zu sitzen, einen erstaunlich harten Bürostuhl mit Armlehnen. „Das ist der Stuhl Peter Suhrkamps“, sagt Heide Grasnick, die Pressesprecherin, die das Möbel vor dem Wegschmeißen gerettet hat. Und man denkt: Das Klavier ist verlockend, aber schwer zu erobern; der Stuhl ist hart, aber stabil. Zwischen beiden Möbeln muss sich der Suhrkamp Verlag zur Zeit entscheiden. Während die ganze deutsche Verlagsbranche mächtig im Übergang begriffen ist, scheint Suhrkamp parallel zum Übergang noch mächtig auf Beharrlichkeit zu setzen.

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