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Tänzchen auf dem Vulkan

■ Im Rahmen des Vegesacker Sommers promenie-rten 100 KünstlerInnen über das Vulkan-Gelände

Die Wiederbelebung der Schiffsromantik scheint diesen Sommer in Mode zu kommen. Erst eine Woche ist es her, dass der stillgelegte Überseehafen vom WestEnd-Theater bespielt wurde. Am vergangenen Freitag war die Vulkan-Werft dran. Unter dem Titel „Vulkan der Erinnerungen – eine Kunstpromenade“ lud das Vegesacker Bürgerhaus zu einem, von über hundert Künstlern begleiteten abendlichen Spaziergang über das Industriegelände ein. Beschwerlich mag das Promenieren vor allem für den unübersehbaren Führer gewesen sein. Der zwei Meter fünfzig hohe Riese war nämlich gar kein Riese, sondern ein Mädchen auf Stelzen. Für das ganz in Blau gekleidete Märchenwesen galt es, stundenlang die Balance zu halten und jede Möglichkeit zu nutzen, sich an eine Mauer anzulehnen.

Die erste Station, zu der es die Besucher führte, war ein abseits gelegener großer Platz. Riesige Windröhren lagen da herum und dienten verschiedenen KünstlerInnen als Versteck. So musste man erst ein wenig suchen, um die Röhre zu finden, aus welcher die Schimpfwörter kamen: Zwei Arbeiterinnen im Blaumann saßen darin und führten ein heftiges Streitgespräch. Aus einem anderen Rohr erscholl ein Kinderchor, der mit seinen Rap-Einlagen überfordert war. Und aus einem dritten sprangen türkische Mädchen heraus und führten schwungvoll einen orientalischen Tanz auf. Nach einigen Minuten schließlich blies die Führerin auf einem Tenorhorn zum Abmarsch vom Röhrenplatz und stelzte der Gruppe voran zur nächsten der vierzehn Stationen. Doch in die Röhre gucken sollten die Besucher noch des öfteren. Beispielsweise als ihnen ein mittelmäßiger Komiker weis machen wollte, sie hätten sich als Freiwillige zu einer Ausbildung zum Weihnachtsmann versammelt. Zur winterlichen Thematik passend, konterte das Publikum mit eisigem Schweigen.

Es gab aber auch überzeugende Künstler. Im Bunker bewies eine Rockband harmonischen und motivischen Einfallsreichtum, war nur leider viel zu laut. Und im Fahrradschuppen tat die Schauspielerin Beate Simon das, was nie verkehrt ist. Sie ließ einfach einen guten Text vorlesen. Während die Ausführungen über die Bedeutung des Lebens aus Antoine de Saint-Exuperys „Flug nach Arras“ zu hören waren, zündete Simon blaue Papierflieger an: Saint-Exupèry ist im Zweiten Weltkrieg bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen. Die ästhetisch reizvolle Szene stellte den ersten Beitrag mit etwas, das man gemeinhin tieferen Sinn nennt, dar.

Ansonsten erschöpfte sich das Programm in optisch zweifellos eindrucksvoller Akrobatik am Hammerkran und pyrotechnischen Vorführungen von Feuerspuckern und Fackeltänzern auf einem gespenstischen Schiffswrack. Die Kunst jedoch beschränkte sich meist auf den Spaß oder das Handwerkliche. Wer etwas anderes erwartet hatte, ließ sich von dem Titel der Veranstaltung in die Irre führen. Zirkuseinlagen und unterhaltende Musik machten aus der „Kunstpromenade“ ein frohes, multikulturelles Straßenfest.

Johannes Bruggaier

„Vulkan der Erinnerungen – eine Kunstpromenade“ noch am 7. Juli und 15. September um 20.30 Uhr. Karten und Infos unter 65 08 05 oder 66 38 00.

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