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Schlaflos im Schauspielhaus

■ Über 300 SchülerInnen spielen in Bremen Theater. Jetzt stellten sie zusammen mit freien Gruppen und Gästen im Schauspielhaus und MOKS vier Tage lang ihre Stücke vor

Willi Lemke ist begeistert. Bremens Bildungssenator war zu Gast beim Landes-Schultheater-Treffen (LST) im Bremer Theater und hat die eindrucksvolle Darbietung einer polnischen Gruppe gesehen.

Auf der schwarz verhängten Bühne steht eine lange Reihe Stühle, weiter hinten ein Podest, ebenfalls mit einigen Stühlen. In dem ansonsten völlig leeren Raum zeigen die 18 Schüler aus Wroclaw ihr Stück „Der Referent“. Einheitlich in Schwarz-Weiß-Blau gekleidet, erzählen sie die Geschichte eines Beamten, der, anfangs noch dazugehörig, auf einmal nicht mehr in das strenge Schema seiner Kollegen passt. Es ist eine Geschichte über die Forderung der Gesellschaft nach Konformität, die Herrschaft der Masse und die ungeheure Macht der Bürokratie. Das Stück, bestimmt von einer präzisen Choreographie und eindrucksvoller Lichtregie, hatte ebenso wie die meisten anderen gezeigten Produktionen ein hohes künstlerisches Niveau und überzeugte mit glaubwürdigen Darstellern.

Die insgesamt neunzehn Theater-AGs, Grundkurse für Darstellendes Spiel und freien Gruppen aus Bremen und Bremerhaven nutzten vom 28. Juni bis zum 1. Juli die Gelegenheit, ihre Stücke zu zeigen. Über dreihundert SchülerInnen tummelten sich auf dem von der Landesarbeitsgemeinschaft für Darstellendes Spiel (LAG) organisierten Treffen.

Neben bekannteren Stücken wie „Oliver Twist“ oder „Gullivers Reisen“ waren vor allem viele Eigenproduktionen dabei. Besonders aktuell war das Stück „Gemeinsam einsam“ des Grundkurses des Ökumenischen Gymnasiums. Die SchülerInnen haben sich Gedanken zu der RTL 2-Reality-Soap „Big Brother“ gemacht – heraus kam eine kritische Auseinandersetzung mit der Frage, wie authentisch eine solche Serie überhaupt sein kann.

Ernste Töne schlug auch das Stück der Theater AG des SZ Julius-Brecht-Allee an: In „20 Kinder“ ging es um Kinder, die in der NS-Zeit für die grausamen Menschenversuche des KZ-Arztes Dr. Mengele benutzt und dann später erhängt wurden. Die Inszenierung konzentrierte sich auf die Wirkung der Sprache, eine körperliche Umsetzung fehlte. Dennoch (oder vielleicht gerade deshalb) verließ das Publikum sichtlich betroffen den Saal.

Alles begann aber mit dem Mittwochmorgen: Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer wurden in die Workshops eingeteilt. Welche Workshops? Dies ist eine alljährliche Tradition des LSTs, bei denen sich die SchülerInnen schon einmal besser kennen lernen können. Das Workshop-Angebot war vielfältig – die JungschauspielerInnen beschäftigten sich mit Tanz, Slapstick, Pantomime und Stimmimprovisation. Abends präsentierten die SchülerInnen die Ergebnisse ihrer Arbeit im voll besetzten Schauspielhaus. Auch Lars Hück, Marketing-Leiter der swb Enordia. der Sponsor der LAG, genoss die Aufführung.

In den nächsten Tagen schien das Interesse der Schüler, sich die Stücke der anderen Gruppen anzusehen, dann aber leider abzunehmen. Gerade die im Schauspielhaus gezeigten Arbeiten mussten vor einem oft nur halb vollen Zuschauerraum gespielt werden. Da dies in den letzten Jahren nie so war, zeigten sich auch die Organisatoren des LST (Holger Möller, Paul Scheller und Rüdiger Eckert) ein wenig enttäuscht, obwohl Holger Möller, der am SZ Walliser Straße Darstellendes Spiel unterrichtet, nach wie vor findet, dass „die Aufführungen und auch die Abschiedsparty wirklich wunderbar waren“. Wie schon in den vergangenen Jahren wurde das LST sowohl von dem Videoteam ,StageView', das Kurzfilme über alle Veranstaltungen produzierte, als auch von der Festival-Zeitung „Readaction“ begleitet, die von sieben enthusiastischen SchülerInnen jeden Tag und jede Nacht geschrieben, gestaltet und publiziert wurde und das Geschehen nochmals reflektierte. readaction

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