: Ich war fast tot
Auch wenn aus dem zornigen Poeten längst ein milder Opa geworden ist: Johnny Cash ist populärer denn je. Nur auftreten will er künftig nicht mehr
Johnny Cash hat beschlossen, dass 43 Jahre auf der Bühne genug sind. Er will künftig nur noch Platten machen. Das kommt nicht überraschend, wenn man ihn einmal live gesehen hat in den letzten Jahren. Der Mann in Schwarz gab einem das beständige Gefühl, dass dieses eine Mal gut und gerne das letzte sein könnte.
Aus dem ehemals „zornigen Poeten“ (New York Times), der niemals eine Miene verzog, war ein milde lächelnder Opa geworden. Aber spätestens wenn er seiner Ehefrau June Carter beim unvermeidlichen Familienduett „Jackson“ verliebt wie am ersten Tag in die Augen blickte, ahnte man, wie früher einmal das Leben in diesem Menschen getobt haben muss. Ein Leben voller Widersprüche: Einerseits feierte er in seinen Texten das Bild vom archaischen frontier man, andererseits sympathisierte er mit den Hippies. Einerseits befreundet mit Bob Dylan, andererseits zumindest zeitweise ein Unterstützer von Richard Nixon.
Dem Country-Establishment aber war Cash immer zu unangepasst und radikal. Anstatt saubere Familienunterhaltung abzuliefern, schrieb er Songs über Verbrecher und rechtlose Indianer, anstatt das im Country übliche Hohelied auf Amerika und die Familie anzustimmen, sang er über Hass und Eifersucht. Regelmäßig trat er in Gefängnissen auf, aber in der Nashville-Institution Grand Ole Opry bekam er 1965 Auftrittsverbot.
Dafür erschloss sich Cash spätestens in den 90er-Jahren ganz neue Hörerkreise, als er sich in die Hände von Rick Rubin begab, der sonst die Beastie Boys und die Red Hot Chili Peppers produzierte. Von Verehrern wie Glenn Danzig, Leonard Cohen, Beck oder Tom Waits ließ er sich Songs auf den stets schwarz gewandeten Leib schreiben. Schon vorher hatte er sich auf der Höhe der Zeit präsentiert und sich überraschend in die Diskussion um Zensur im HipHop eingemischt. Dabei stellte er sich wieder einmal gegen die Moral Majority und auf die Seite der Gangsta-Rapper, die wegen angeblich zur Gewalt aufrufender Texte unter Beschuss geraten waren. Die hatten zu ihrer Verteidigung stets die berühmte Cash-Zeile „I shot a man in Reno just to see him die“ aus dem „Folsom Prison Blues“ zitiert. In dieser einen Zeile aus den mehr als 500 Songs, die Cash geschrieben hat, kristallisiert sich sein Erbe: In einem einfachen, lakonischen Satz kann eine ungeheure Sprengkraft liegen.
Zuletzt überstand Cash knapp zwei Lungenentzündungen. „Ich war fast tot“, sagte er, als er aus dem Krankenhaus kam. Im Herbst wird sein neues Album erscheinen. THOMAS WINKLER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen