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„Kongos Kriegsparteien führen einen Krieg des Profits“

Nur eine neue Politikergeneration kann das Land neu aufbauen, sagt Floribert Chebeya, Leiter der führenden kongolesischen Menschenrechtsorganisation „Voix des Sans-Voix“

taz: Ihre Organisation arbeitet vor allem in Kongos Hauptstadt Kinshasa, Sitz der Regierung Kabila. Haben Sie viel zu tun?

Floribert Chebeya: Die Lage der Menschenrechte wird immer schlechter. Alle Menschenrechte werden verletzt, die Diktatur von Laurent-Désiré Kabila konzentriert alle Macht auf sich. Der Krieg dient als Vorwand für illegale und willkürliche Verhaftungen. Häftlinge werden gefoltert und ausgepeitscht. Die Sicherheitskräfte handeln allein für die Sicherheit Kabilas. Das ist wie zu Zeiten Mobutus. Menschenrechtler, Gewerkschaftler, sogar Religionsgemeinschaften, wenn diese nicht Kabila vergöttern, werden eingeschüchtert und unterdrückt.

Wie können Sie in dieser Lage arbeiten?

Die Bevölkerung vertraut uns. Wir leisten Ausbildung in Menschenrechtsfragen und führen Seminare durch.

Und die Behörden behindern Sie nicht dabei?

Doch, aber nicht systematisch. Sie tolerieren es. Manchmal verteilen wir Broschüren, und die werden beschlagnahmt. Manchmal werden Leute bedroht, weil sie sich angeblich in militärische Angelegenheiten eingemischt haben. Wir kleben Plakate mit Informationen über politische Verhaftungen; das toleriert die Staatsmacht nicht.

Ist die Lage auf Rebellenseite besser?

Nein. Unter den Rebellen ist es fast schlimmer als unter Kabila. Dort finden Menschenjagden statt, wiederholte Massaker. Die Rebellen wissen, dass die Bevölkerung sie nicht akzeptiert.

Gibt es Kontakte zwischen Menschenrechtsaktivisten auf beiden Seiten?

Ja, denn wir wollen alle, dass der Krieg aufhört. Darüber besteht Einigkeit.

Wie kann der Krieg beendet werden?

Der einzige Rahmen dafür ist das Friedensabkommen von Lusaka (vom Juli 1999, d. Red). Man muss verlangen, dass es umgesetzt wird. Die Kriegsparteien haben es damit nicht eilig, denn sie führen einen Krieg des Profits, bei dem überall kontrolliert geplündert wird.

Je stärker die internationalen Anstrengungen zur Umsetzung des Lusaka-Abkommens werden, desto heftiger scheint sich Kabila zu widersetzen. Was können Sie dagegen tun?

Kabila hat am 1. Juli ein Übergangsparlament eingesetzt. Das widerspricht dem Friedensabkommen, das einen Dialog zwischen allen Seiten zur politischen Neuordnung des Kongo vorsieht. Wir sagen also Nein dazu. Aber man muss dies auf internationalem Niveau sagen. Am 13. Juli werden wir ein Nationales Forum der Menschenrechtsorganisationen des Kongo organisieren, um die Lage im gesamten Land zu erörtern und Strategien zu überlegen. Wir müssen uns vernetzen.

Aber je länger der Krieg andauert, desto dauerhafter scheint die Teilung des Landes zu werden.

Wir treten alle für die Einheit des Landes ein. Niemand will eine Teilung.

Trotzdem hat man nicht den Eindruck, dass Kongos zivile Opposition mit einer Stimme spricht.

Wir haben ein Problem der politischen Kader. Viele unserer Politiker haben ein Weltbild der Sechzigerjahre und leben gut mit Kabila, dessen politische Sozialisation auch aus dieser Epoche stammt.

Ist eine neue Generation in Sicht?

Es gibt unabhängig denkende junge Leute, aber es sind nicht viele und sie werden benutzt. Sie kennen die 60er-Jahre nicht, sondern nur die Mobutu-Diktatur. Mobutu hat die politischen Parteien gezielt geschwächt, nachdem er sie zuließ, so dass sie nicht arbeiten konnten. Als seine Diktatur schwächer wurde, waren die Leute aufgeregt, aber sie hatten nicht die nötige Bildung, um zu wissen, wie es weitergehen soll.

Wofür stehen die 60er-Jahre, deren Erfahrung heute fehlt?

Die 60er-Jahre waren der Unabhängigkeitskampf, der Versuch von Demokratie. Es gab Hoffnungen, die neuen Werte der Unabhängigkeit.

Welche Lehren muss man heute aus dem Scheitern von damals ziehen?

Die wichtigste ist die überragende Notwendigkeit, fähige Politiker auszubilden. Eine andere ist, sich der Einmischung des Westens in der Dritten Welt bewusst zu werden. Bei uns hat immer der Westen die Führer eingesetzt – Mobutu, dann Kabila. Aber das wichtigste ist, dass man einen starken Staat bauen muss, weil man Kongos Probleme nicht ohne fähige Politiker lösen kann. Schon jetzt sieht man, wie die Politiker der Mobutu-Ära sich vorbereiten, um wieder zu Einfluss zu kommen.

Ein „starker Staat“ könnte das verhindern?

Eine schwache Regierung würde Konfusion schaffen, weil es heute wie in den 60er-Jahren widerstreitende äußere Einflussnahmen auf das Land gibt und Politiker manipuliert werden können. Heute suchen alle den Kontakt zum Westen, weil bisher im Kongo alle von außen an die Macht kamen. In den 60er-Jahren sagte man dazu: Nun ja, die Leute sind noch nicht richtig ausgebildet, wir haben keine Universitäten und so weiter. Aber heute ist es immer noch so!

INTERVIEW: DOMINIC JOHNSON

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