piwik no script img

Tabubruch im Nachbarschaftsheim

SPD-Fraktionschef Klaus Wowereit diskutierte erstmals öffentlich mit dem PDS-Star Gregor Gysi. Beiden wollen eine Zusammenarbeit nicht mehr ausschließen. Nicht aus Zuneigung, sondern aus Mangel an politischen Alternativen

von RALPH BOLLMANN

Diesmal stand die Tür weit offen. Mochte die Zehlendorfer SPD noch im Frühjahr nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit dem PDS-Vorsitzenden Lothar Bisky diskutieren, so empfingen die Kreuzberger Genossen am Dienstagabend den Politstar Gregor Gysi vor laufenden Fernsehkameras. Komplettiert wurde der Tabubruch in Nachbarschaftsheim an der Kreuzberger Urbanstraße durch die Wahl des Gesprächspartners: Klaus Wowereit, SPD-Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, stellte sich als erster hochrangiger Sozialdemokrat in der Hauptstadt dem öffentlichen Dialog mit den Postsozialisten. Thema: „SPD-PDS: Option für die Zukunft?“

Eine Frage, die Wowereit und Gysi unumwunden bejahten. Gleichzeitig gaben sie zu verstehen, dass beide Seiten keinesfalls aus gegenseitiger Zuneigung mit einem Bündnis liebäugeln. Für den Sozialdemokraten Wowereit geht es dabei vor allem um Alternativen zur ungeliebten Koalition mit der CDU: „Diese Frage muss strategisch diskutiert werden.“ Und Gysi gab zu verstehen, gesellschaftliche Veränderungen im Sinne der PDS seien unter den gegebenen Umständen ohne die SPD eben nicht durchsetzbar.

Auch wenn beide auf die Frage nach konkreten Koalitions-Optionen nur sagten, was halbwegs professionelle Politiker dazu eben sagen müssen: Diese Frage werde zum gegebenen Zeitpunkt entschieden. Aber, immerhin: „Verordnete Tabus“, so Wowereit, dürfe es nicht mehr geben – vor allem nicht bei der anstehenden Neubildung der Bezirksämter.

Bei so viel Normalität gab es zum Thema des Abends gar nicht mehr viel zu sagen. Kein Wunder – müssten Sozialdemokraten und Grüne ganz abstrakt darüber diskutieren, ob rot-grüne Koalitionen prinzipiell denkbar sind, fiele ihnen vermutlich auch nicht viel ein.

Den „Urkonflikt zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten“, der die neurotische Beziehung beider Parteien noch immer prägt, wollte Wowereit in die Kompetenz der Historiker überweisen. Den „vielen Wunden“ aus Frontstadt- und DDR-Zeiten zollte er zwar rhetorisch Tribut, doch er selbst habe „diese Erfahrungen nicht gemacht, ich kann deshalb unbefangen an dieses Thema herangehen“.

Auch Gysi plädierte dafür, die „spezifische Verletztheit zwischen PDS und SPD“ und damit „den Kalten Krieg in den Köpfen“ zu überwinden.

Geht es an die konkrete Politik, verlaufen die Trennlinien ohnehin quer zu den Parteigrenzen. Eifrig applaudierten die meisten Sozialdemokraten, als Gysi dafür plädierte, die Haushaltssanierung „nicht zum einzigen Kriterium der Politik zu machen“. Umgekehrt lobte Wowereit den PDS-Mann Stefan Liebich, der für solide Finanzen eintritt, als „jungen, dynamischen Abgeordneten aus Marzahn“.

So schwierig wie im west-östlichen Berlin ist die Debatte nirgends: Auch da waren sich beide Diskutanten einig. Denn in den reinen West-Ländern spielt die PDS keine Rolle, und in den reinen Ost-Ländern ist sie längst kein Schreckgespenst mehr.

Hitzig wurde die Debatte nur, als sich die Kontrahenten dann doch in die Historie verbissen. Wowereit solle nicht so tun, als sei „die SPD-Geschichte frei von Fehlern“. Schließlich sei es der Arbeiterbewegung nicht gelungen, den „Hitlerfaschismus zu verhindern“. Ein solcher Vergleich sei „nicht akzeptabel“, gab Wowereit scharf zurück.

Für den SPD-Fraktionschef endete die Debatte also mit dem gewünschten Ergebnis: Tabu gebrochen, Debatte eröffnet, Abgrenzung gewahrt. Folgt die SPD dieser Linie, hat sie am nächsten Wahlabend mehr Auswahl als bisher – und folglich schon jetzt eine stärkere Position im Clinch mit dem Koalitionspartner CDU.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen