Eine Art Windmühlenwurf

Leben in der Bundesliga: Eimsbüttel ist nicht nur HipHop-Hochburg, sondern auch die heimliche Hauptstadt in Sachen Softball. Die Frauen der Hamburg Knights peilen die Meisterschaft an

von KNUT HENKEL

Michèle Veselinovic steht der Schweiß auf der Stirn. Mit einem leisen Seufzer wirft sie die lederummantelte Korkkugel der Catcherin zu, die sie routiniert fängt. Um die zweihundert Würfe absolviert die 23-jährige Pitcherin der ETV Hamburg Knights pro Trainingseinheit. Heute hat sie ihr Pensum zwar schon abgespult, aber ein paar zusätzliche Würfe können nicht schaden.

Am Wochenende geht es schließlich wieder um Bundesligapunkte, und dann will sie die gegnerischen Schlägerinnen zur Verzweiflung bringen. Mit 18:2-Siegen haben die Knights die Vorrunde in derBundesliga Gruppe Nord abgeschlossen, doch bis zum Titel ist es noch ein weiter Weg. Schließlich ist die Vorrundenbilanz von Teams wie den Brauweiler Raging Abbots (17:3) aus der Bundesliga Mitte oder gar den Mannheim Tornados (19:1) aus der Gruppe Süd durchaus vergleichbar mit jener der Knights. Und auch die Regensburg Legionäre (14:6), Pulheim Gophers (13:7) oder Strausberg Rain Girls (12:8) sind nicht zu unterschätzen.

Feinheiten sind wichtig

So engagiert wie bisher möchte Trainerin Graciela Scavino ihr Team auch gegen die Topmannschaften auftreten sehen. „Meine Spielerinnen müssen noch selbstsicherer werden, noch routinierter und reaktionsschneller“, sagt die gebürtige Argentinierin, die das Team seit Saisonbeginn coacht. Auf die Feinheiten legt die diplomierte Sportlehrerin besonderen Wert. Schlag- und Wurftraining wurden unter ihrer Regie verändert, neue Übungen lockern das Training auf, und kleine Fehler entgehen ihrem aufmerksamen Blick nur selten.

„Beim Schlagen haben wir uns schon verbessert“, ist sich Claudia Effenberg, mit 34 Jahren die Erfahrenste im Team der Knights, sicher. Seit zehn Jahren ist die Nationalspielerin schon dabei. Ihre gesamte Freizeit geht für den Softball drauf, und jedes Turnier mit der Nationalmannschaft lässt ihren Jahresurlaub schrumpfen. Vom Scheitel bis zur Sohle auf Softball eingestellt ist auch Effenbergs Pitcherkollegin Michèle Veselinovic. Nach der Arbeit als Außenhandelskauffrau ist sie meist auf dem Grantplatz in Eimsbüttel zu finden. Gemeinsam mit Teamkollegin Lena Först und Graciela Scavino trainiert sie die 2. Mannschaft.

„Softball ist total vielseitig. Man schlägt, wirft, läuft und muss dabei die Übersicht behalten. Das ist gar nicht so leicht, und bei jedem Spiel lernt man noch irgendetwas dazu – das macht für mich den Reiz aus“, erklärt die gebürtige Hamburgerin, sich die Schweißperlen von der Stirn wischend. Seit dieser Saison pitcht Michèle auch in den Bundesligaspielen. Drei Jahre hat sie gebraucht, um die komplizierte Wurftechnik zu beherrschen. Im Gegensatz zum Baseball wird der Softball nicht von oben, sondern von unten geworfen. „Es ist eine Art Windmühlenwurf, wobei die Kraft aus Hüfte und Oberschenkel kommt. Das macht es so schwierig“, erklärt Rüdiger Wendt, ein erfahrener Bundesligaschiedsrichter. „Nur wenn die Technik stimmt, erreichen die Bälle Geschwindigkeiten um die 80 Stundenkilometer und kommen dort an, wo sie hin sollen.“

Doch nicht nur beim Pitchen gibt es Unterschiede zum Baseball. „Softball ist aggressiver als Baseball, weil das Feld kleiner ist und die Spielerinnen schneller reagieren müssen“, sagt die Knights-Trainerin Scavino. Die braun gebrannte, quirlige Frau ist nicht nur für die Softballabteilung der Knights zuständig, sondern auch für die Nationalmannschaft der Juniorinnen. Nachwuchsarbeit hat bei ihr oberste Priorität. Durch Kooperationen mit Schulen versucht sie Kinder und Jugendliche an die US-Sportart heranzuführen. Zwar gibt es bundesweit 220 Vereine mit 5.000 aktiven Spielerinnen in 360 Teams, aber letztlich führt Softball ähnlich wie Baseball hierzulande ein Schattendasein. Das könnte sich schnell ändern, denn bei den Kindern und Jugendlichen ist der Ballsport derzeit angesagt. „Wenn wir die 10- bis 16-Jährigen erreichen, sie auf den Platz kriegen, dann können wir unser Spielniveau langsam steigern“, hofft die 50-jährige Softballtrainerin.

Beim ETV wird bereits auf hohem Niveau gespielt. Im letzten Jahr wurde die 1. Mannschaft hinter den Mannheim Tornados, damals noch von Graciela trainiert, Vizemeister. In diesem oder im nächsten Jahr soll der Pokal in die Vereinsvitrine. Die Basis für den Erfolg ist die Jugendarbeit. Zwei Juniorinnen sind bereits in die 1. Mannschaft integriert und werden wohl auch international bei der nächsten EM in Holland zum Einsatz kommen. Insgesamt sind vier Softball-Mannschaften vom ETV gemeldet, und selbst die kleinsten, die Little Tiger Knights, haben ihre eigene Trainerin. Vielleicht verhelfen sie dem Sport zum Durchbruch.

Abseits der Medien

Trotz internationaler Erfolge, wie dem Gewinn der Europameisterschaft und dem Aufstieg in den A-Pool, wird Softball von den Medien nach wie vor stiefmütterlich behandelt, klagt Claudia Effenberg. Ihr Bruder, Bayern Münchens Mittelfeldstar Stefan Effenberg, kann sich kleine Promotionaktionen für die Knights und den Softball zwar vorstellen, aber ob das die Zuschauer ins Stadion bringt, weiß auch Claudia nicht.

Dabei sorgen die Knights im Stadion für optimale Stimmung. Rhythmisches Klatschen, Schlachtgesänge und Anfeuerungsrufe sind Trumpf, und vor jedem Schlagversuch der Knights erklingt das obligatorische „Wir wollen Sie schlagen seh’n“. Für Michèle Motivation genug, nicht nur ihr Pitching zu verfeinern, sondern auch beim Schlagtraining noch eine Schippe draufzulegen. Ihr Ziel ist ohnehin die Nationalmannschaft, und dafür steht sie täglich auf dem Platz.

Zitat:Scavino: „Softball ist aggressiver als Baseball, weil das Feld kleiner ist.“