netzgeschichten
: Wenn die Medien fusionieren

Die ARD betreibt für Berlin (und Brandenburg) einen Radiosender, der nur ausführliche Nachrichten, Korrespondentenberichte und Interviews verbreitet. Dieses „Inforadio“, wie der Sender heißt, ist ungeheuer modern, weil es nichts weiter sein will als ein Dampfradio.

Trotzdem unterhält die Redaktion eine Website. Mit einem RealAudio-Plugin kann man ganze Programm im Internet empfangen. Im Gästebuch hat deshalb Sabine Blau neulich geschrieben, wie froh sie darüber ist, dass sie es auch in Bayern hören kann. Weil so etwas ganz normal ist, meinen viele, die Fusion der Medien stehe unmittelbar bevor. Sie irren sich.

Die Redaktion des Inforadios ist schon viel weiter. Wenn sie über die Selbstmordattentate der tschetschenischen Rebellen berichtet, zitiert sie die Website der tschetschenischen Rebellen. Wenn es um die Kampfhunde geht, zitiert sie aus einem Onlinediskussionsforum. Denn nur so kommen die modernen Medien zusammen. Das Radio berichtet darüber, was im Internet los ist. Man kann natürlich auch im Internet, auf der eigenen Homepage vielleicht, erzählen, was dieses oder jenes Radio gesendet hat. Wenn es interessant ist, dann nicht, weil wir plötzlich im Internet ein Radio hören, sondern nur, weil wir das gerade nicht tun. Es kommt etwas dazu, ein Kommentar, eine Kritik, vielleicht ein Bild. Wir brauchen kein konfuses Einheitsmedium, sondern ein halbes Dutzend Kanäle, weil wir ihren jeweils ganz verschiedenen Inhalt vergleichen wollen.

Das gilt auch für ARD-Korrespondenten in Moskau. Informationen über tschetschenische Rebellen sind dort schwierig zu gewinnen. Also lesen sie – wenn möglich – die Internetseiten der tschetschenischen Rebellen auf irgendeinem ausländischen Server. So überwindet das Internet jede Zensur – übrigens nicht, um die reine Wahrheit zu verbreiten, sondern um Standpunkte und Interessen zu vertreten.

Wahrscheinlich ärgert sich der russische Botschafter in Berlin, dass er jetzt die Ansichten der tschetschenischen Rebellen in einem deutschen Lokalradio anhören muss. Aber so ist das eben, wenn die Medien fusionieren. Letzte Woche hat Thomas Middelhoff, der Vorstandsvorsitzende von Bertelsmann, dem Simon-Wiesenthal-Zentrum versprochen, dass Barnes and Noble Hitlers „Mein Kampf“ nicht mehr nach Deutschland ausliefert. Mitarbeiter des Wiesenthal-Zentrums haben das nachgeprüft und eine sehr seltsame Diffusion der Medien festgestellt. Das Buch steht im Onlinekatalog, man kann es bestellen, bekommt aber die Nachricht, dass es nicht zugestellt wird.

Das ist ein enormer Fortschritt. Bisher stand dieses Buch in keinem Katalog einer deutschen Buchhandlung, aber man bekam es unter dem Ladentisch. Die Mitarbeiter des Simon-Wiesenthal-Zentrums sollten sich darüber freuen, dass es jetzt genau umgekehrt ist. niklaus@taz.de