: Ham Se mal ne Unterschrift?
175 Bundestagsabgeordnete sollen die Ausladung des iranischen Präsidenten Chatami gefordert haben. Wussten sie alle, was sie taten?
aus BerlinPATRIK SCHWARZ
Der Überfall geschah gleich neben dem Reichstag. „Von hinten kam eine Frau“, berichtet die Mitarbeiterin eines Bundestagsabgeordneten, „und hat mich regelrecht angesprungen.“ Die englischen Worte, die ihr dabei zugerufen wurden, habe sie überhaupt erst richtig verstanden, als ihr eine Unterschriftenliste vor die Nase gehalten wurde: „Please sign! Please sign!“ Um die Diskriminierung von Frauen im Iran gehe es, heißt es zur Erklärung. Doch die resolute Rheinländerin ist über die rabiate Ansprache zu empört: „Nix unterschreib ich!“
Wenige Tage vor dem ersten Besuch eines iranischen Staatsoberhaupts seit dem Schah-Besuch von 1967 ist die Sammelaktion vor dem Reichstag zum Politikum geworden. Umstritten sind gleichermaßen der Inhalt der Resolution wie die Methoden, mit denen die Unterschriften eingetrieben wurden. Der Auslöser: 175 Bundestagsabgeordnete aller Fraktionen sollen den Appell unterzeichnet haben, in dem die Ausladung des Präsidenten gefordert wird. Dies jedenfalls behauptet der „Nationale Widerstandsrat“ des Iran, eine auch in Deutschland aktive Oppositionsgruppe. Auch 300 Landtagsabgeordnete hätten Chatamis Ausladung gefordert, weil er einem Regime vorstehe, das ungerührt und fortgesetzt die Menschenrechte verletze. So weit, so überzeugend. Allein die Organisation, die vom Verfassungsschutz beobachtet wird, hat bis heute keine Liste mit den Namen der Parlamentarier vorgelegt und will das erst nächste Woche nachholen. „Da ist alles korrekt gelaufen, soweit ich das beurteilen kann“, verteidigt der SPD-Bundestagsabgeordnete Arne Fuhrmann das Unterfangen. Er stellte den Appell zusammen mit zwei SPD-Fraktionskollegen sowie Arnold Vaatz von der CDU auf der Pressekonferenz des Nationalen Widerstandsrates vor. „Inzwischen gibt es eine ganze Menge Kollegen, die sich zu ihrer Unterschrift bekannt haben“, sagt Fuhrmann.
Den Fraktionsspitzen kommt der Protest mehr als ungelegen. Von CDU bis PDS unterstützt man die Einladung der Bundesregierung und setzt auf den Dialog mit Chatami, um so einen friedlichen Wandel im Iran zu befördern.
Gernot Erler, SPD-Außenpolitiker und stellvertretender Fraktionsvorsitzender, gehört zu den Befürwortern des Besuchs. Er meldet schwere Bedenken gegen das Zustandekommen der 175 Unterschriften an. „Die meisten, die das unterschrieben haben, haben den Text nicht gelesen“, glaubt Erler, „wenn's um die Menschenrechte geht, unterschreibt man ja schnell.“ Der Nationale Widerstandsrat sei „ein sehr aggressiver Teil des Widerstands“ gegen die Regierung in Teheran und eng verbunden mit den Volksmudschaheddin, die im Iran auch militärisch operierten. „Das ist ein sehr fragwürdiger Partner, auf den sich unsere Kollegen da eingelassen haben“, resümiert Erler, nimmt aber die Gegner in den eigenen Reihen auch in Schutz: „Ich bin ganz sicher, dass meine Kollegen, die auf der Straße angesprochen wurden, das nicht gewusst haben.“ Ein anderer Befürworter des Chatami-Besuches in der SPD-Fraktion mutmaßt, vielleicht hätten die Unterzeichner den Präsidenten auch schlicht mit dem geistlichen Oberhaupt Irans, dem Hardliner Chamenei, verwechselt. Für die SPD-Abgeordneten ist die derart attestierte Ahnungslosigkeit natürlich wenig schmeichelhaft. „Ich kenne den Widerstandsrat seit langem“, sagt Erler deshalb auch, „das sind Profis, die alle Tricks draufhaben.“
Arne Fuhrmann hält das für Unfug. Albern sei es zu behaupten, „die armen Kerlchen im Bundestag“ wüssten gar nicht, was sie tun. „Aber was, wenn sie gar nicht so arm sind?“ Auch Arnold Vaatz betont, er habe genau gewusst, was er da unterschrieb. Er sei aus eigener Erfahrung gegen den Chatami-Besuch. „Ich kann’s nicht ändern, ich komme aus einer Diktatur“, sagte der Ex-Bürgerrechtler. In der DDR habe die politische Opposition enorm gelitten unter der diplomatischen Aufwertung, die das Regime im Ausland erfahren habe.
Sollten die 175 Unterschriften sich als echt erweisen, demonstrieren sie einen Aufstand der Hinterbänkler. Die wenigen namentlich bekannten Unterzeichner sind überzeugt davon, dass ihre Fraktionsführungen schlicht unterschätzt haben, wie breit der parlamentarische Widerstand gegen den Chatami-Besuch ist. Für diese Interpretation spricht, dass weder die drei SPD-Abgeordneten noch der CDU-Mann Vaatz in ihren Fraktionen für Außenpolitik zuständig sind. „Wenn der Besuch wirklich von meiner Unterschrift abhinge, dann hätte ich vielleicht auch nicht unterschrieben“, meint einer, „aber so war es einfach wichtig, zu zeigen: Hier geht es um Menschenrechte, dies ist kein Staatsbesuch wie jeder andere.
Wer sich den hohen Gast im Internet anschauen will: www.president.ir/gallery/museum/index-e.htmWer sich über den iranischen Widerstand informieren will:
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