: Eingesperrte Bären gucken
Streitfall Zoo: Brauchen Kinder exotische Tierparks, oder reicht das Fernsehen? Auch Bilderbücher haben dazu eine Meinung ■ Von Kaija Kutter
Mit Kindern in den Zoo zu gehen, das ist ein Muss. Schon den ganz Kleinen wird von bildungsbewussten Eltern in Hagenbeck vorgeführt, dass es Giraffen und Affen nicht nur aus Lego gibt, sondern auch in echt. Sonntag für Sonntag stehen die Familien mit ihren Buggys am Eismeer, um Walross Antje beim Fischeschlürfen zuzusehen. „Wie hat Antje gemacht?“ „Schlurpff“, der Nachwuchs lernt schnell.
Löwen, Zebras, Giraffen, spätestens wenn die Familie sich bis zum Kinderspielplatz am Winterrestaurant durchgestaunt hat, kommt die Frage „istdochschönhieroder?“, die Kind mit „Ja“ zu beantworten hat. Haben wir uns verhört? „Ich find es nicht gut, dass die Tiere eingesperrt sind.“ Richtig, da war doch was. Tierschützer sind gegen Zoos. Aber wieso schon im Vorschulalter? Weil sie Bilderbücher lesen. Der freche Junge „Albin“ zum Beispiel (Ulf Löfgren, Boje-Verlag) erschleicht sich einen Job als Zoowärter und lässt die Tiere alle frei. Und das sprechende Flugzeug Tambo („Safina“, Bartholomäus Grill, Holzhausen-Verlag) hat genug davon, Afrikas Tiere gegen ihren Willen in den kalten Norden zu fliegen, nur weil „die Regierung sie verkauft“. Mitunter ist es auch der Anblick der Tiere selbst, der Kinder zu Kritikern macht. Wenn etwa der Eisbär im „Tierpark Neumünster“ unentwegt zwei Schritte hin, zwei Schritte her läuft, wird fast jeder zum Hobbytierpsychologen und mutmaßt: der ist gestört.
„Es ist nicht notwendig, dass ein Kind eingesperrte Bären zu sehen bekommt“, spricht einem dann Simone Runde (Bürger gegen Tierversuche) aus der Seele. Sie hält die Tierhaltung in Zoos „generell für zu schlecht“. Eltern sollten mit ihren Kindern lieber in Naturschutzgebiete fahren, sagt sie. Über exotischere Tiere gebe es jeden Tag „hervorragende Filme“ im Fernsehen. Der Mensch habe nicht das Recht, „Tiere in Zoos zu verfrachten“, sagt auch der Vorsitzende des Hamburger Tierschutzvereins, Wolfgang Poggendorf. Gerade Tiere wie Eisbären hätten in unserer Klimazone nichts zu suchen. Poggendorf: „Wenn der sprechen könnte, würde er sagen, 'ich möchte in die Heimat zurück'.“
Er spricht aber nicht. Dafür sein Tierparkdirektor Peter Drüwa. Das Hin- und Herlaufen seines Eisbären sei nur „Ausdruck von Bewegungsdrang“ und keinesfalls ein „Zeichen für eine krankhafte Störung“, sagt Drüwa. „Wenn der auf einer Eisscholle stünde, würde er es auch so machen.“ Auch sei dem Tier nicht zu heiss. Sein Fell bilde bei Wärme einfach weniger Wolle.
Der Neumünsteraner Bär hat ein Becken zum Tauchen und gut 1000 Quadratmeter Platz. In der Natur läuft er aber bis zu 80 Kilometer an Tag. „Wir können die Lebensbedingungen der Tiere nur imitieren“, mahnt Wolfgang Poggendorf. „Langfristig sollte es keine exotischen Tiere in Zoos geben.“
Das Fernsehen vermittelt „nur Ausschnitte der Realität“, hält Zoopädagogin Kaike Johannsen dem entgegen. Die Biologielehrerin, die seit 15 Jahren bei Hagenbeck Schülern die Tiere zeigt, hat schon Kinder erlebt, die Löwen mit Steinen bewerfen, weil sie „Action“ sehen wollen – fauchende, jagende Tiere, wie sie sie aus dem Fernsehen kennen. In Afrika, sagt Johannsen, würden die Löwen aber auch fast nur schlafen.
Hagenbeck vermittle „Geruch und Geräusche“, Lebensäußerungen der Tiere, die das TV nicht ersetzen kann, gibt auch Hagenbecks Tierarzt Michael Flügger zu bedenken. Er verbürgt sich dafür, dass Hagenbeck seit fünf Jahren keine Tiere mehr aus der Wildnis importiert hat. Auch sei es nur ein Gerücht, dass dort ausgewachsene Jungtiere getötet würden. Im Gegenteil, in Hagenbeck dürften nur die Tiere Junge bekommen, für die es Platz in einem Zoo gibt. Zoolöwen beispielsweise, von denen es sehr viele gibt, müssen verhüten.
„Wir können die Zoos nicht abschaffen, weil wir die Tiere, die zum größten Teil dort geboren sind, alle töten müssten“, gibt auch Jakob Parzefall vom Zoologischen Institut der Uni Hamburg zu bedenken. Auswilderung wäre riskant, weil man nicht wüsste, ob sich die Tiere ernähren können. Sie gelinge nur bei solchen, die nie ihr Fressen von Menschen bekommen haben.
Wer von wissenschaftlicher Seite ein objektives Urteil im Zoostreit erwartet, wird enttäuscht. Zwar gibt es „Mindestanforderungen an die tierschutzgerechte Haltung“, nach denen ein Löwenpaar mit Jungen zum Beispiel 40 Quadratmeter Außengehege haben muss, aber dieser Katalog wurde vom „Verband deutscher Zoodirektoren“ selbst verfasst. „Wir können nicht definieren, was eine artgerechte Unterbringung ist“, sagt Zoologe Parzefall, „da gibt's dann gleich Streit“.
So in etwa aber tun Zoologen und gemäßigte Tierschützer dennoch dasselbe. Sie besuchen die Tierparks und machen Verbesserungsvorschläge. So regten Studenten im Serengeti Tierpark bei Hannover an, die Artenvielfalt zu reduzieren, um sie der natürlichen Savannenlandschaft anzupassen. Und auch Tierschutz-Chef Poggendorf geht fast wöchentlich zu Hagenbeck, um „den Finger in die Wunde zu legen“. Der Privatzoo, so sein Fazit, sei seit einigen Jahren Verbesserungen gegenüber aufgeschlossen. So gibt es seit neuestem mehr Platz für Aras. Und die chinesischen Leoparden haben jetzt ein Gehege, das auch Versteck- und Schattenplätze bietet.
Allerdings sei die Resonanz darauf „nicht überwältigend“, bedauert Zoopädagogin Johannsen. Menschen, die die Leoparden nicht gleich entdecken, gingen enttäuscht wieder weg. Sie habe den Eindruck, dass der alte Zoo, der die Tiere in Menagerien präsentierte, die Besucher „mehr angesprochen“ habe.
Kein Wunder, es sind ja auch noch nicht alle Bilderbücher auf Linie. In „Robert der Große“ (Philippe Dupasquier, Carlsen Verlag) beispielsweise wird ein kleiner Junge zum Helden, weil er einen ausgebrochenen Tiger wieder in seinen Käfig sperrt. Das Tier war so gefährlich. Das hätte ihn glatt gefressen!
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